Tag Archiv: piaffe

Bitte keine Lobhudelei

Magazin Piaffe 2/2019

„Loben nicht vergessen!“, diesen Satz kennen viele aus den ersten Reitstunden. Klopfen, tätscheln, kraulen, knuddeln oder „Priiiima!“ – es gibt verschiedenste Möglichkeiten, einem Pferd mitzuteilen, dass es etwas gut gemacht hat. Wir haben die Methode zu loben im Reitunterricht gelernt oder von anderen abgeschaut, vielleicht ist das Lob auch intuitiv oder aus dem zwischenmenschlichen Bereich übertragen. Auf ganz unterschiedliche Weise kommen diese Bekundungen dann bei den Pferden an. Manche werden naturgemäß verstanden, manche machen nur bei richtiger Anwendung Sinn. Und für alle gilt: Bewusst eingesetzt und nicht gehudelt, bewirken sie eine engere Verbindung zum Pferd.

 

Eins gleich vorweg: Das kraftvolle Klopfen auf den Hals, das man vor allem im Pferdesport so oft sieht, sollte man sich sparen. Es bringt nichts. Es hat keine Entsprechung in der Natur oder der Kommunikation von Pferden untereinander. Es kommt aus dem militärischen Umfeld oder ist vom menschlichen „Auf-die-Schulter-klopfen“ übertragen. Das bedeutet, Pferde müssen erst lernen, dass diese rüde Geste etwas Positives bedeuten soll. Bedenkt man, dass ein Pferd spüren kann, wenn eine Fliege auf seinem Fell landet – wie mag sich dann im Vergleich dieses deftige Draufhauen auf Hals, Schulter oder Kruppe anfühlen?

Vom Grand Prix bis zum ländlichen Reitplatz kann man es aber dennoch sehen: Wer mit dem Pferd zufrieden ist, schlägt kräftig auf den Hals des Pferdes ein. Dass die erfolgreichen Sportreiter das Halsklopfen so praktizieren, führt zu einem für die Pferde unangenehmen Nachahmungseffekt bei vielen Reitern. Völlig arglos wird es praktiziert und hat sich international sogar als „German Touch“ einen Namen gemacht. Die Pferde erdulden diese seltsame Belobigung, manchmal ist ein Abwehrverhalten erkennbar. Eine positive Rückmeldung der Pferde kann man nicht feststellen. Manche verstehen vielmehr, dass die Arbeit nun beendet ist.

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Nur nicht hudeln  

Neben dem richtigen Timing ist auch die richtige Dosis von Lob ein wichtiger Faktor. Nach dem Motto: „Nicht geschimpft ist genug gelobt!“ nimmt man viele Leistungen des Pferdes reaktionslos an. Die Einstellung: „Ach, das kann der doch“, ist nicht nur unaufmerksam, sondern sogar respektlos gegenüber dem Pferd. Hat es etwas gut gemacht, bedarf es einer positiven Reaktion! Dem Richtigen sollte man keinesfalls weniger Aufmerksamkeit widmen als dem Falschen oder der Korrektur. Ein kleines Streicheln, ein zufriedenes „danke“ oder „brav“ zeigt nicht nur Anerkennung, sondern vermittelt auch ein entspanntes, freudiges Gefühl - und dieses nimmt das Pferd prompt wahr.

Die eigenen Emotionen übertragen sich in sekundenschnelle auf das Pferd, egal ob wir versuchen sie auszudrücken oder nicht. Gemeinsam mit dem Pferd in Harmonie schwelgen, davon träumen wohl alle Reiter. Dafür sollte man jedoch zuerst hinterfragen, welchem Leistungsdruck man sein Pferd aussetzt. Überwiegen die positiven Erlebnisse in der gemeinsamen Arbeit? Empfindet das Pferd diese ebenso? Ist man in der Lage, sich gemeinsam dem Moment hinzugeben und zu genießen, dass eine Lektion geglückt ist?

Jeder Reiter kennt auch die Kehrseite der Medaille: die Situation, in der man Reitschüler ist. Welchen Unterschied es macht, ob der Reitlehrer zugewandt, aufmerksam und wertschätzend bestätigt, wenn etwas gut läuft – oder mürrisch aus der Ecke „weiter so“ murmelt. Ebenso geht es dem Pferd mit uns als Reiter. Der wundervolle gemeinsame Moment, der uns ein Lächeln auf die Lippen zaubert, beruht auf tiefer Verbundenheit. Dazu muss man sich aufeinander einlassen, Signale und Stimmungen wahrnehmen und so darauf reagieren, dass der andere versteht. Nehmen Sie sich die Zeit, herauszufinden, welches Lob Ihr Pferd gerne mag, motivierend oder beruhigend findet. Es werden weder große Gesten noch laute Worte sein. Es ist eine Investition in gegenseitiges Verständnis und Harmonie. Wenn Manuel Jorge de Oliveira die Hände hinter dem Rücken verschränkt und leise, tief und langgezogen „Exxxaaakt“ sagt, dann wissen sowohl als Reiter als auch als Pferd, dass sie etwas gut gemacht haben.

Doris Semmelmann

Druck erzeugt Gegendruck

Magazin Piaffe 2/2019

Haben Sie schon einmal versucht ein Pferd beiseite zu schieben? Am Putzplatz, beim Hufschmied oder auch nur, wenn es irgendwo im Weg steht? Vermutlich hat es nicht funktioniert. Vermutlich hat sich das Pferd mit viel Kraft dem Druck entgegengestellt. Es hat seinen Schwerpunkt verlagert und keinen Millimeter nachgegeben. „Druck erzeugt eben Gegendruck“ sagt man sich dann.

Dieses Phänomen kann uns die Evolution wunderbar erklären. Zu Urzeiten, als die Pferde noch in der freien Wildbahn lebten, waren Raubtiere ihre Fressfeinde. Deren Angriff zielte gewöhnlich auf die weiche Stelle des Pferdekörpers ab, zwischen Rippen und Hüfte. Dort können sich Raubtierzähne bestens verbeißen und großen Schaden anrichten. Würde das Pferd nun also weichen und wegrennen, nachdem das Raubtier zugebissen hat, bräuchte dieses nur festhalten, denn durch sein Weglaufen würde das Pferd selbst dazu beitragen, dass die dünnen Gewebeschichten dieser Körperpartie reißen und es hätte ein Loch in der Bauchwand. Damit wäre das Pferd in der Wildnis so gut wie tot. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Pferd überlebt ist viel größer, wenn es sich dem zubeißenden Raubtier abrupt entgegenwirft und dann mit allen Mitteln kämpft. In diesem Moment wird das Raubtier seine Zähne auseinandernehmen und das Pferd hätte schlimmstenfalls eine Bisswunde – aber dadurch kein klaffendes Loch. Über Jahrmillionen haben eben die Tiere überlebt, die gegendrücken, währenddessen die ausgestorben sind, die dem Druck nachgegeben haben oder davongelaufen sind. Und dieses Wissen sitzt als Instinkt noch immer in ihren Köpfen, Genen oder wo auch immer.

Auch im übertragenen Sinne mag es kein Mensch leiden, wenn Druck auf ihn ausgeübt wird. Dem Druck zu weichen wäre eine Möglichkeit, doch das tun wir genauso ungern wie die Pferde. Nachgeben kann man nie in seiner ganzen Größe, nie mit Begeisterung, nie motiviert – sondern vielmehr mit einem Gefühl des Unterlegen seins, Kapitulierens, Resignierens. Wir alle kennen dieses Gefühl selbst und doch fallen wir immer wieder darauf herein. „Dem musst du mal richtig Druck machen!“ geben oder bekommen wir als wohlgemeinten Ratschlag. Wir glauben „viel hilft viel“ - also durch Verstärkung von Input wie Worten, Energie, Hilfen oder Einflussnahme, auch mehr Output, also das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Kennen Sie ein Beispiel, wo das tatsächlich geklappt hat? Ohne Folgeschäden? Dann lassen Sie es mich unbedingt wissen, ich kenne nämlich keins.

Das Pferd, das in der Stallgasse im Weg steht, wird nicht eher weichen, wenn Sie mehr drücken. Auch beim Reiten oder im Training wird mehr Druck nicht zu besseren Ergebnissen führen. Im Falle der negativen Verstärkung ist es sogar grundlegend, dass der Druck sofort aufhört, wenn das Pferd nur eine Mikrobewegung in die richtige Richtung macht.

Genauso ist es im zwischenmenschlichen Bereich. Die meisten Menschen fühlen sich bei Druck absolut überfordert und in die Enge getrieben. Und dann passiert es eben, dass wir langsamer werden, wenn jemand nachdrücklich auf die Erledigung einer Aufgabe drängt. Dass wir schon aus Prinzip dagegen sind, wenn jemand auf etwas beharrt. Dass wir unverbindlicher werden,  wenn jemand hartnäckig ein Ziel verfolgt oder dass wir einfach nicht nachgeben wollen, wenn der andere nicht lockerlässt. Das Druck-erzeugt-Gegendruck-Phänomen sitzt uns genauso in den Genen, wie den Pferden. Wir haben es verinnerlicht und wenden es auch subtil an, indem wir zum Beispiel einfach gestresst gucken, wenn uns jemand antreibt oder mehr aufbürdet. Gestresst gucken bedeutet nämlich noch lange nicht, dass jemand auch tatsächlich gestresst ist. So zeigt eine Studie, dass Arbeitnehmer im Alter zwischen 18 und 34 gerne einmal Stress vortäuschen, um dem Leistungsdruck standzuhalten. Andere quasseln, jammern oder werden hysterisch. „Head down and deliver“ ist ein Slogan der Knechtschaft mancher Unternehmensberatungen, die Rollkur des Business sozusagen, aber schneller bessere Ergebnisse hat dies ebensowenig hervorgebracht.

Besser oder schneller ist kein Resultat von Druck

Pferdetrainer seit jeher waren mit der Aufgabe konfrontiert das Gegendruck Phänomen zu händeln. Bereits Xenophon erklärte in seiner ersten Schrift über die Reitkunst: „Das Pferd wird den Zaum eher annehmen, wenn man ihm danach etwas Gutes angedeihen lässt. Es wird über Gräben setzen, herausspringen und, kurz, alles andere williger ausführen, wenn ihm nach der Ausführung des Befehls Lob und Ruhe zuteilwird.“ Und dieses Wissen sollte sich in unseren Führungsetagen verbreiten: Wer auf einen anderen einwirkt, muss im rechten Moment auch wieder nachlassen, um das Gewünschte zu erreichen. Lob und Ruhe sind auch für Mitarbeiter ein Motivationselement. Gute Führungskräfte achten auf perfektes Timing und nehmen den Druck sofort weg, wenn der Andere nur ansetzt das Richtige zu tun – egal ob der Andere nun ein Pferd oder ein Mensch ist.

Doris Semmelmann

Die Przewalski-Pferde in der Döberitzer Heide

Magazin Piaffe 1/2019

In einem einmaligen Wildnisgroßprojekt unmittelbar vor den Toren von Berlin und Potsdam hat die Heinz Sielmann Stiftung auf dem früheren Truppenübungsplatz „Döberitz“ einige fast ausgestorbene Wildtierarten angesiedelt. Auf etwa 3600 Hektar leben heute 24 Przewalski-Pferde gemeinsam mit Wisenten und Rothirschen in „Sielmanns Naturlandschaft Döberitzer Heide“. Wisent und Przewalski-Pferd galten im 20. Jahrhundert als fast ausgestorben. Lediglich ein paar Tiere gab es noch in Zoos und Gehegen.

Wir fahren in die „Wildniskernzone“, dem 1850 Hektar umfassenden inneren Teil des Naturschutzgebietes. Der Bereich ist doppelt umzäunt und kameraüberwacht, die Tore fest verschlossen. Das Areal ist für Besucher normalerweise nicht zugänglich. Lange sandige Wege des ehemaligen Militärgeländes durchziehen dichten oder lichten Wald und freie Flächen, man sieht alte Panzergräben und Krater. Die dort lebenden Tiere können sich frei bewegen, sie tragen keine Sender. Es bedarf also einer Portion Glück, sie anzutreffen. Auf der Suche nach den Przewalski-Pferden steuern wir die erste Wasserstelle an. In große, gemauerte Becken wird an mehreren Orten im weitläufigen Gelände Grundwasser mit Solarpumpen heraufgepumpt, so dass alle Bewohner der Wildniskernzone zu trinken haben. Doch diese Wasserstelle wirkt verlassen. Die Spuren im trockenen Sand geben keine Hinweise ob hier kürzlich jemand seinen Durst gestillt hat. Eigentlich wollen wir weiterfahren, als wir leises Knacken unter den Bäumen vernehmen.

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Rast mit wildlebenden Pferden

Przewalski-Wallach Lex und seinen kleinen Harem treffen wir wieder an einem sandigen Fahrweg in der Wildniskernzone. Sie sind nicht in Eile, doch machen sie den Anschein, als hätten sie etwas vor. Sie überqueren zielstrebig den Weg und verschwinden im lichten Wald zwischen den Bäumen. Wir fahren weiter auf dem Weg, umrunden den Wald und erreichen eine ausgedehnte Ebene nahe dem Ferbitzer Bruch, die „Wüste“ genannt wird. Es ist ein weites, offenes Gebiet mit sandigem Boden und geringer Vegetation. In der Mitte etwa befindet sich eine große Sandkuhle, die von den Pferden gerne aufgesucht wird. An den verfallenen Überresten eines alten Bunkers halten wir an und packen unsere Pausenbrote aus. Und tatsächlich geschieht das, was wir kaum zu hoffen wagten. Fast unmerklich taucht die kleine Herde auf dieser Seite des Waldes wieder auf. Farblich gut getarnt kommen sie langsam zwischen den Bäumen hervor und schlendern den Hang herunter. Natürlich haben sie uns längst gesehen, aber wir stellen wohl keine Gefahr dar. In kleinen Grüppchen und immer wieder grasend spazieren sie an uns vorbei. Die Leitstute steuert als erste die Sandkuhle an und positioniert sich dort. Ganz ohne Eile gesellen sich die andern nach und nach dazu. Sie stehen in einer Formation, es könnten angestammte Plätze sein und sie haben dabei die ganze Ebene auf dem Radar. So dösen sie langsam in ihrem Mittagsschlaf hinüber und halten Siesta.

Die Döberitzer Heide ist ein Mosaik von unterschiedlichsten Biotopen. Die in der Wildniskernzone lebenden Przewalski-Pferde tragen als große Pflanzenfresser neben Wisenten und Rothirschen maßgeblich zur Landschaftsentwicklung bei. Die Ringzone drumherum ist von Wander- und Reitwegen durchzogen und dient als Naturerlebnisraum der Region Berlin-Potsdam, es gibt Picknickplätze und einen Aussichtsturm. Besucher genießen die wilde Natur und mit etwas Glück kann man auch die Przewalski-Pferde erspähen.

Doris Semmelmann

Alphatiere

Magazin Piaffe 1/2019

Jede Herde hat ihr Alphatier. Es ist das Leittier, meist das stärkste und erfahrenste Tier in der Gruppe. In der Verhaltensforschung ist es üblich, die Herdenmitglieder durchzunummerieren, auf Alpha folgt Beta als Nummer zwei der Rangordnung und an letzter Stelle steht dann das Omega-Tier.

Ranghöchste Tiere sind meist besonders kräftig und haben Vorrang bei Futter und Wasser. Oft beeinflussen sie auch die Fortpflanzung, so dass sich die eigenen Gene mehr verbreiten, als die der rangniederen Artgenossen. Dies kann langfristig ein Vorteil sein für den Fortbestand der Gruppe. Neben den Vorteilen hat das Alphatier aber auch gewisse Pflichten zu erfüllen, so zum Beispiel das Auffinden von Futterplätzen und Wasserstellen, die Abwehr von Gefahr sowie die Einhaltung der Herdenregeln und das Schlichten von Streitigkeiten zwischen rangniederen Tieren. Bei Querelen innerhalb der Herde und im Kontakt mit anderen Gruppen schreitet das Alphatier ein und wirkt durchaus auch erzieherisch auf andere Herdenmitglieder. Bei Angriffen von außen verteidigt es die Herde, beschützt, kämpft und stellt sich gegen den Feind.

Die Bezeichnung Alphatier kann sowohl einen positiven als auch einen negativen Beigeschmack haben. Im positiven Sinn meint man souverän, energisch und willensstark. Negativ geäußert, bedeutet der Begriff Alphatier autoritär, dominant, angriffslustig und dickköpfig.

Als Tiermetapher wird die Bezeichnung „Alphatier“ für durchsetzungsstarke, dominante Menschen in Führungssituationen genutzt, meist Männer. Das so genannte „Alphamännchen“ klingt niedlich, ist es aber ganz und gar nicht. In neu zusammengestellten Gruppen werden dominante und von sich selbst überzeugte Macher tatsächlich am häufigsten zu Anführern. Menschen neigen dazu, erst einmal jenen zu folgen, die sich am stärksten in Szene setzen. Auch in bestehenden Hierarchien werden herrische Züge des Chefs von seinen Mitarbeitern durchaus als durchsetzungsstarke Führungskompetenz gewertet. „So sehen Sieger aus“ heißt es dann anerkennend im Kollegenkreis. Fakt ist, dass man nicht auf einer sanften Welle nach oben in die Chefetage gespült wird. Ein starkes Selbstbewusstsein und eine gewisse Härte haben die meisten Karrieristen dorthin gebracht. Steve Jobs zum Beispiel, hat seine Visionen für Apple immer durchgesetzt und damit ein immenses Imperium aufgebaut. Kreativ und innovativ prägte er das digitale Zeitalter wie kein anderer. Auf einer Tagung im September 1982 sagte er: "Es ist besser, ein Pirat zu sein, als der Navy beizutreten.“

Doch das klare Anführertum ist nur eine Facette des Alphatiers und seine Dominanz kann sich ganz unterschiedlich zeigen. Menschliche Alphatiere wollen eher nicht managen – sie wollen gewinnen, klar, eindeutig und am liebsten haushoch. Nachgeben oder einlenken ist kein Fall für Alphatiere. Solches Verhalten kann dann leicht ins Zerstörerische umschlagen und sie kämpfen bis zur totalen Erschöpfung. Doch während beim Duell im Tierreich die Unterwerfungsgeste des Gegners eine Beißhemmung auslöst und den Kampf üblicherweise beendet, ist es im zwischenmenschlichen Bereich anders. Menschliche Alphatiere feuern verbal weiter auf den Unterlegenen und können im Sog des Siegens nicht aufhören. Adrenalingeladen empfinden sie das als so befriedigend, dass sie wie in einen Blutrausch geraten. Mediation oder Coaching ist im Extremfall leider zwecklos. Das wäre, als würde man einem schnaubend kämpfenden Hengst „Ruhig, Brauner!“ zurufen und erwarten, dass er sich beherrscht.

Angetrieben von Macht und Erfolgsfantasien ist es die größte Angst des Alphatieres, den hohen Status wieder zu verlieren. So soll eben jener Steve Jobs einen Manager kurzerhand gefeuert haben, weil dieser auf einem von Jobs erstellten Flipchart eine kleine Ergänzung anbringen wollte. Man hüte sich davor, ein Alphatier zu verbessern! Schließlich kann das Alphatier alles und weiß alles. Meist zieht es breitbeinig eine „One-Man-Show“ ab. So floss das Alphatier-Gehabe auch in die Arbeit mit Pferden ein und gipfelte in diverse Varianten von Dominanz-Trainingsmethoden. Dabei mag sich so manches Pferd gewundert haben, mit welch seltsamen Gebaren diese Menschen da auftraten. Posen und Gesten sollten die Rangordnung zwischen Pferd und Mensch klarstellen. Wie das aggressivste Huhn, das zuoberst auf der Leiter hockt, despotisch auf alle anderen Hühner herunter hackt, dabei selbst von keinem gehackt wird, hat mancher Pferdetrainer versucht, die Pferde zu unterwerfen. 

Dabei hatte die Natur das ganz anders vorgesehen. Langzeitbeobachtungen an freilebenden Alphatieren unterschiedlicher Spezies haben gezeigt, dass diese nur situationsbezogen autoritär auftreten. Den Nutzen einer Rangordnung sehen Verhaltensbiologen darin, dass Kämpfe und Streitigkeiten, die Kraft und Zeit kosten auf ein Minimum beschränkt bleiben. Zudem scheint Freundschaft ein nicht zu unterschätzender Faktor zu sein. Darüber hinaus unterscheidet man mittlerweile zwischen unterschiedlichen Alphatypen. So nimmt der Dominante zwar eine Führungsrolle ein, baut dabei jedoch Druck auf und schreckt vor Drohungen nicht zurück. Gern hat er alles unter Kontrolle, lässt sich nicht täuschen und duldet keine Widerrede. Doch es ist nicht der Großspurigste und Lauterste, dem die anderen Vertrauen schenken. Vielmehr ist ein Leader der geborene Anführer. Er kennt das Ziel und den Weg dorthin. Mutig, souverän und charismatisch führt er die Truppe an, egal ob Menschen oder Pferde. Er ist sich seiner Stärke bewusst und muss sie nicht demonstrieren. Dadurch motiviert er andere, sich ihm anzuschließen.

Wohingegen jeder, der seine Dominanz stark auslebt, auf Gegenwind gefasst sein muss. Herdenmitglieder, genauso wie Mitarbeiter werden von der penetrant demonstrierten Vorherrschaft auf Dauer frustriert oder reagieren feindselig, wütend bis hin zu ängstlich. Entweder beugen sie sich und ordnen sich dem Alphatier zähneknirschend unter oder sie suchen das Weite. Daher erfahren dominante Alphatiere selten, welche Vorzüge es hat, andere zu respektieren und wie ein harmonisches Miteinander aussieht.

Doris Semmelmann

Stutenbissigkeit

Natural Leadership: Stutenbissigkeit
Magazin Piaffe 2/2018

Pferde sind Herdentiere. Sie pflegen Sozialkontakte und Freundschaften. Doch manchmal herrscht Krieg. Die Stimmung ist geladen, man kann Frust und Aggression erkennen. Wie in jeder Gemeinschaft, müssen auch in der Pferdeherde Konflikte ausgetragen werden. Bei männlichen Pferden geht das meist zügig bis die Positionen klar sind und nicht selten folgt ein gemeinsames Spiel. Aber manchmal herrscht auch Zickenkrieg. Dann sind vorrangig weibliche Pferde beteiligt. Es regiert die Stutenbissigkeit.

Der Begriff Stutenbissigkeit beschreibt als Tiermetapher das weibliche Konfliktverhalten in einer Pferdeherde. Die Stuten drohen, zicken, beißen in die Luft oder auch mal in die Konkurrentin. Verfeindete Stuten werden keine Freundinnen mehr. Sie stellen sich gegenseitig in den Weg oder grenzen sich aus. Sie lassen die Rivalin nicht ans Futter oder Wasser. Sie drängeln, schubsen oder treten. Und natürlich konkurrieren sie um die Gunst des Hengstes.

Auch bei Frauen gibt es Stutenbissigkeit

„Meine Lieblingskollegin und ich waren bisher immer einer Meinung und schwammen auf derselben Wellenlänge. Wir haben uns auch persönlich gut verstanden und konnten so viele Neuigkeiten und Gerüchte austauschen. Eines Tages ging dann plötzlich irgendetwas schief.“ erzählt Anja Simon. Sie arbeitet im Management eines internationalen Konzerns.

Dabei sollte sie ihrer Kollegin bei einem Projekt nur unter die Arme greifen, solange es nötig war. So hatte es sich der Chef gewünscht. Und gleich zu Beginn wurde ausdrücklich betont, dass sie den Verantwortungsbereich der Kollegin nur auf Anweisung betrete und möglichst bald wieder verlassen möchte, sie hatte keinerlei weiterführende Ambitionen. „Aber die damalige Reaktion hat mich völlig überrascht“, schildert Anja Simon ihre Fassungslosigkeit. „Ich spürte direkt die Bisswunden an mir- und dann noch im Meeting vor den anderen Teilnehmern! Stutenbissig war das!“

Aber warum beißen moderne Geschäftsfrauen ihre Kolleginnen heute noch weg, wie Stuten in der Pferdeherde? Ist es immer noch der Kampf um die erste Stelle und das Vorrecht auf den Hengst? Ist es Neid oder das Einfordern von Anerkennung bei männlichen Kollegen? Tatsächlich sind Männer in der Akzeptanz von Frauen auf Topmanagement-Level oft viel weiter als die Frauen selbst. Der selbst auferlegte Druck, führt Frauen häufig zu Schwesternneid.

Dabei wissen alle hinlänglich, dass für ein Überleben einer besonderen Spezies (z.B. Frauen im oberen Management) eine gewisse kritische Masse erforderlich ist. Also wäre doch die gegenseitige Hilfe und Unterstützung mehr als angebracht, um diese gewisse kritische Masse zu erreichen. Stattdessen wird triebgesteuert gebissen, als würden wir noch in der Zeit der Säbelzahntiger leben. Und sehr oft geht es gar nicht um das sachliche Problem an sich, sondern vielmehr um das Zwischenmenschliche, Kommunikative, Beziehungstechnische oder Organisatorische.

Während der Kampf zwischen Hengsten ein Kräftemessen sein kann, Rang- oder Revierkämpfe sowie den Schutz des Stutenharems betrifft, werden Stutenkonflikte oft als kleinlich und divenhaft angesehen. Meist sind Männer weniger emotional und Frauen empfindsamer, egal ob Mensch oder Pferd. Doch während eine Schlacht unter Männern gesellschaftsfähig ist und Konkurrenz das Geschäft belebt, sind offene Konflikte zwischen Frauen bis heute gesellschaftlich tabu. Hier werden sofort Neid, Eifersucht, und Intrigen hineininterpretiert.

Und genau darum ist Stutenbissigkeit so kontraproduktiv! Gerade weil Frauen untereinander auf gegenseitige Unterstützung angewiesen sind, im Job, im Management und bei der Aufzucht der Fohlen in der Herde, ist es so schwierig einen offenen Kampf auszutragen. Und der offene Kampf ist zudem riskant, nicht zuletzt wegen der persönlichen Verletzungsgefahr. Souveräne Stuten machen es vor: es ist nicht sinnvoll, auf die gleiche Weise zurück zu schießen. Am besten ist es meist, ruhig zu bleiben und gelassen zu reagieren. Oft verläuft die Attacke dadurch im Sande. Aber keineswegs darf man sich alles gefallen lassen. Sind die Angriffe beleidigend, gehen unter die Gürtellinie, schaden nachhaltig oder sind sogar handgreiflich – dann muss man sich mit allen Mitteln wehren.

In der Pferdeherde ist es so, dass je höher die Tiere in der Rangordnung sind, desto subtiler gekämpft wird. Während es auf den unteren Rängen richtig hart zur Sache gehen kann und üble körperliche Verletzungen nach sich zieht, verändert sich das mit zunehmendem Aufstieg in der Hierarchie. Hochrangige Tiere sind wichtig für die Herde und sollen nicht durch körperliche Blessuren gehandicapt sein. Also kämpft man raffinierter. Die Bisse der Stuten können sehr schmerzhaft sein, manchmal gehen sie aber geflissentlich am Ziel vorbei in die Luft. Dann kann man nämlich immer sagen „Es war doch nichts! Was hat sie denn? Warum stellt sie sich denn so an? Ist die aber empfindlich …“

Stuten und Frauen kämpfen subtil

Eine Frau kann einer anderen nur schwer eine öffentliche Niederlage zufügen. Die weiblichen Werte von Gemeinschaft und Empathie verwehren das. Unwürdig und kleinlich, peinlich wäre es zudem. Frauen kämpfen eigentlich nicht gern, weder untereinander und auch nicht gegen Männer. Wenn sie das Spiel aber nicht mitspielen, kommen sie fachlich oft nicht weiter. Denn Männer sehen den Kampf als Kräftemessen, Revier verteidigen oder gar Ansporn, Sieger und Unterlegener trinken dann hinterher ein Bier zusammen. Wenn sich Frauen bekämpft haben, gibt es nur ganz selten wieder eine Versöhnung oder einen Schulterschluss.

Ein Sprichwort unter Pferdeleuten lautet: tell it to a gelding, ask a stallion and discuss with a mare – also einem Wallach kann man etwas anschaffen, einen Hengst muss man fragen und mit einer Stute immer diskutieren. Dabei geht es um das feine austarieren der Existenz nebeneinander. Stuten koexistieren in der Herde, arrangieren sich und gehen sich des Öfteren elegant aus dem Weg. Aber sie vernichten sich nicht. Das Überleben der gesamten Spezies ist in jedem Fall wichtiger als der persönliche Kleinkrieg. Das wiederum können wir uns von ihnen abschauen, meine Damen!

Nachtragend, rachsüchtig und zickig bis zur totalen Zerstörung der Rivalin kämpfend, hat – wenn überhaupt – nur kurzfristige Siegerinnen hervorgebracht. Souveränität sieht anders aus, das kann man wirklich von den Stuten lernen und Souveränität fängt immer bei einem selbst an.

Doris Semmelmann, 2018

 

Natural Leadership: Nicht führbar!

Junge Pferde, roh, frisch von der Koppel oder auch hengstige Wallache und zickige Stuten werden oft als „nicht führbar“ bezeichnet. Gleichzeitig sind sie meist unbalanciert, schwach bemuskelt und schlecht zu reiten. Schnell wird klar, dass weder Gewalt noch Schmerz das widersetzliche Pferd friedlich und kooperativ stimmen und dann kommt meist Horsemanship-Training zum Einsatz. Kann man das Pferd für die Arbeit mit dem Menschen gewinnen, dann waren es weniger die Posen und Gesten, sondern eher eine mentale Verbindung, die entstanden ist. Motivation, Vertrauen und klare Kommunikation bringen die Beziehung ins Gleichgewicht. Dieser Balance im Geist folgt dann die körperliche und man kann mit Muskelaufbau und Gymnastizierung beginnen.

Wie ist es denn nun zum Vergleich im beruflichen Umfeld? Mitarbeiter gelten als „nicht führbar“, wenn sie eigensinnig sind, nicht berechenbar, nicht vertrauenswürdig. Wenn sie Grenzen überschreiten und keine Teamplayer sind, haben es Vorgesetzte schwer und verzweifeln als Führungskraft genauso, wie der Reiter mit dem nicht-führbaren Pferd. Auch hier Fehlanzeige bei Motivation, Vertrauen und Kommunikation. „Menschen, die sich generell nicht führen lassen, machen sich dann oft selbständig oder arbeiten freiberuflich“, sagt Heinz Marty, selbst Pferdemann. Er arbeitet als selbständiger Architekt und wurde in jungen Jahren beim Schweizer Militär als „Nicht führbar“ eingestuft, so der Stempel in seinen Entlassungspapieren.

Eine Weisheit aus dem Horsemanship sagt:

  • In front of every horse is a good trainer.
  • Behind every horse is a great horseman.
  • Beside every horse is a caring partner.

Das Pferd zu führen, indem man vorausgeht, macht einen guten Trainer aus, mit klarer Kommunikation und so genannten Anführer-Qualitäten. Wohingegen aus dem Hintergrund zu agieren bedeutet, nicht nur klare Signale zu senden, sondern auch alle Antennen auf Empfang zu haben und wahrzunehmen, was das Pferd zurücksendet. Das wiederum macht einen guten Horseman aus, der mit feiner Kommunikation Pferde dirigiert. Doch die Position neben einem Pferd, gleichberechtigt in der Mensch-Pferd-Beziehung, das ist Partnerschaft im Pferdealltag. Damit sind keineswegs anspruchsvolle Situationen gemeint oder gar Gefahren – sondern Momente zwischendurch, im Einklang, im Gleichklang, im Gleichschritt. Mitunter braucht man die anderen beiden Stufen, um die dritte zu erreichen.

Barbara Fiedler, Führungskraft im Qualitätsmanagement eines Großunternehmens, erzählt, dass sie von ihren Pferden viel über Führung gelernt hat, vor allem sich selbst klar zu sein und zu kommunizieren, was man von den Mitarbeitern erwartet. „Ich gebe meinen Mitarbeitern Impulse, lasse sie dann machen, und versuche nur einzugreifen, wenn etwas schief läuft“, erzählt sie. Spräche man von Pferden, wäre das bestes Horsemanship. Ein Ziel wird definiert, den Rahmen gibt Fiedler vor und der Rest ist learning by doing. Wenn es scheitert, dann liegt es meist an der Kommunikation, da ist sie sich sicher.

Führungsanspruch abgelehnt?

Bei Pferden, die sich nicht führen lassen, vermutet man auch ein Kommunikationsproblem. Entweder haben sie nicht gelernt, auf die Signale des Menschen zu achten oder aber sie ignorieren den Führungsanspruch. In dem Fall genügt es nicht mehr, richtige Signale zu senden, sondern man muss in der Lage sein, das Feedback zu interpretieren, um daraus Trainingsschritte abzuleiten. „Observe and listen to your horse. Pay attention to the smallest details,” sagt Manuel Jorge de Oliveira. Kein Pferd und kein Mitarbeiter wird von heute auf morgen unführbar. In beiden Fällen gibt es Anzeichen, Signale, Hinweise, die immer stärker werden. Wenn die Gegenseite sie nicht wahrnimmt, folgen Frustration und Resignation. Irgendwann ist dann alles zu spät und die Zusammenarbeit wird eine Qual, für beide Seiten, sowohl bei Pferd und Mensch als auch bei Mitarbeiter und Führungskraft.

Parallelen von Pferden und Mitarbeitern

“The biggest torture of the horse is not to be ridden well,” die größte Tortur für das Pferd ist es, nicht gut geritten zu sein, sagt Manuel Jorge de Oliveira weiter - wobei wir hier von Reitern als Führungskräften sprechen, nicht von Passagieren im Sattel. Und genauso ist es für die Mitarbeiter, schlechte Führung ist eine Tortur. Die einen kündigen oder machen sich selbständig, die anderen leiden still unter Mobbing, Burnout, und Depressionen. Darum ist die Verbesserung der Führungskultur auch ein Bestandteil des betrieblichen Gesundheitsmanagements geworden. „Das Führungsverhalten hat einen signifikanten Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit und gute Führung gilt als gesundheiterhaltender Faktor“, erklärt Daniela Steiner, die bei der Landeshauptstadt München für das Betriebliche Gesundheitsmanagement zuständig ist. „Bei Mitarbeitern, die sich nicht führen lassen, kann man davon ausgehen, dass eine Unzufriedenheit oder eine Art Konflikt dahinterstecken, die es aufzudecken gilt, um passende Maßnahmen abzuleiten und diese umzusetzen sowie zu evaluieren. Dann kann man die Arbeitssituation verbessern und eine nachhaltige Veränderung garantieren. So lässt sich am eigentlichen Problem arbeiten und in der Folge können sich Führungsverhalten und Verhalten des Mitarbeiters gegenüber der Führungskraft verändern, damit eine gute Führung wieder möglich ist.“

Ein guter Horseman geht die Sache genauso an: Bei Pferden, die sich nicht führen lassen, steckt ebenfalls ein Konflikt dahinter, den es aufzudecken gilt um passende Trainingsschritte abzuleiten. Verbessert man die Situation des Pferdes indem man am eigentlichen Problem arbeitet, wird sich auch das Verhalten des Pferdes gegenüber dem Menschen verändern, so dass das Führen wieder klappt. Jedes Mensch-Pferd-Paar ist ein Team, genauso wie Manager und Mitarbeiter, es kann nur gemeinsam funktionieren. Wenn man sich dessen aber nicht bewusst ist und gegeneinander arbeitet, anstatt miteinander, dann wird der Betrieb, der Mitarbeiter oder das Pferd nicht mehr führbar werden.

 

Reizthema Pferderettung – Berühmte Pferderetter

Reizthema Pferderettung
letzter Teil der Serie
Was haben sie erreicht? Warum ist und bleibt Pferderettung ein Reizthema?

Nun, im letzten Teil der Serie, möchten wir einige Menschen vorstellen, die in der Historie der Pferderettung Meilensteine gesetzt haben. Blickt man zurück in die Geschichte, entstanden die ersten Tierschutzbewegungen im 19. Jahrhundert. Sie begnügen sich aber nicht damit, einzelne Tiere zu retten und bildend auf die Gesellschaft einzuwirken, sondern verlangen und bewirken, dass die Gesetzgebung sich der Tiere annimmt, Gewalt und Grausamkeit unterbindet und ahndet.
Seitdem wurde viel erreicht. Pioniere in Tierschutz und Pferderettung haben sich mit ihrer Meinung gegen die Allgemeinheit gestellt und gezeigt, dass man auch als Einzelner etwas zuwege bringen kann: Aufmerksamkeit,
Aufklärung und Veränderung im System. Die Verbesserung von abscheulichen Zuständen bei Pferdetransporten und in der Pferdehaltung ist ihr Verdienst. Doch es ist zäh. Und es gibt noch immer etwas zu tun.

  • Ada Cole - Bilder für die Öffentlichkeit (1911)
  • Velma Johnston - Wild Horse Annie Act (1959)
  • Neda DeMayo - Return to Freedom (1997)
  • Manfred Karremann - Filme, schwer anzuschauen (2011)

alles Lesen: Piaffe Kiosk

Natural Leadership: Was heisst eigentlich Führen?

Was heisst eigentlich Führen?
Magazin Piaffe 2/2017

Egal in welcher reiterlichen Disziplin man sich bewegt, eines gehört immer dazu: Pferde führen. Aus der Box, auf den Reitplatz, zur Koppel, in den Transporter – am Strick, am Zügel, an der Longe, es wird geführt, was das Zeug hält. Laut Definition ist Führen ein steuerndes und richtungsweisendes Einwirken. Mal klappt es besser, mal schlechter, manchmal übernimmt auch das Pferd die Führung oder es führt einen sogar vor.

Regeln, Lehren oder Theorien gibt es viele. Ob man neben dem Pferd geht oder besser voraus, ob auf Höhe der Schulter oder nur von links, weil es die Pferde seit Kavallerie-Zeiten so gewohnt sind – eine gewisse Führungskompetenz ist dabei immer gefragt. Oder andersherum gesagt: wer diese gewisse Führungskompetenz besitzt, kann ein Pferd von jeder Seite und in jeder Position führen.

Doch Führen heißt nicht nur, mit dem Pferd den Weg von A nach B zurückzulegen. Auch bei der Bodenarbeit wird über alle möglichen Hindernisse geführt. Im übertragenen Sinne führt man auch am Langen Zügel, nämlich aus dem Hintergrund und auch beim Reiten übernimmt man die Führung von oben, über die Einwirkung der reiterlichen Hilfen. Das könnte man nun natürlich mit Kraft versuchen, mit Muskelkraft, genauer gesagt. Mit Ziehen, Schieben, Drücken, bekommt man ein Pferd möglicherweise früher oder später dorthin, wo man es haben möchte. Mancher versucht es auch mit Getöse und Gebrüll oder mit Locken und Leckereien. Doch wenn das Pferd nicht will, dann ist mit alldem nichts zu machen.

Im Natural Horsemanship wird dem Führen große Bedeutung beigemessen und es gibt jede Menge Übungen dazu. Die exakte Position und die richtige Körpersprache kann man lernen; der korrekte Abstand zum Pferd, Augenkontakt oder nicht und die Handhabung des Führseiles sind oftmals nichts anderes als Glaubensbekenntnisse der Lehre oder des Trainers, dem man folgt. Doch die richtig Guten können es so oder so – egal welcher Lehre sie folgen. Und zur allgemeinen Verwirrung ist genau das No-Go des einen, manchmal der Geheimtipp des anderen. Und die Pferde? Denen ist es ziemlich egal, welchem Guru man folgt oder welches Label auf dem Equipment steht.

Natürlich sind all die Erkenntnisse, auf denen die unterschiedlichen Trainingsmethoden basieren, wichtig und hilfreich. Doch der kleinste gemeinsame Nenner ist simpel: es geht um Vertrauen. Wir Menschen lernen es als Kind an der Hand unserer Eltern, so geführt entdecken wir die Welt. Später haben wir hoffentlich einen Lehrer, Ausbilder oder Chef, der uns anleitet Herausforderungen anzunehmen und Niederlagen zu überwinden. Ebenso das Pferd: vertraut es seiner Führungsperson, dann wird es folgen. Pferde sind Herdentiere, sie schließen sich gerne demjenigen an, der ihnen Sicherheit bietet. Pferde sind aber auch Fluchttiere und permanent dabei, alle Signale aus der Umgebung aufzunehmen und auf mögliche Informationen und Gefahren hin zu überprüfen. Sobald sie ihre Sicherheit bedroht sehen, sind sie auf und davon. Bildlich gesprochen, indem sie abhauen und durchgehen – oder auch nur sinnbildlich, wenn sie abschalten und wie angewurzelt stehenbleiben.

Derjenige, dem andere freiwillig folgen, hat Führungskompetenz. Eine ausführliche Definition von Führung sagt, dass man versucht, ein anderes Lebewesen zur Erfüllung gemeinsamer Aufgaben und zur Erreichung gemeinsamer Ziele zu veranlassen und zwar mit sozialer Einflussnahme. Das gelingt jedoch nicht mit antrainierten Posen und teurem Equipment. Grundelemente dafür sind Vertrauen und Sicherheit. Genauso wie in unserem zwischenmenschlichen privaten oder beruflichen Umfeld, sind auch für Pferde diejenigen Führungspersönlichkeiten, denen man sich gerne anschließt. Man vertraut und fühlt sich sicher. Solche Menschen sind oft charismatisch, aber sie sind auch immer authentisch. Wenn Sie auf Ihrem Berufsweg einen solchen Chef hatten, dann können sie sich glücklich schätzen. Vielleicht ist er ein Vorbild für etwas, was man auf keiner Universität oder Elite-Hochschule lernt.

Und genauso ist es mit dem Pferd. Wenn es Ihnen vertraut, dann können Sie es leicht führen, in bekannter Umgebung genauso wie in unwegsamen Gelände. Üblicherweise führt man von der Seite. Manche gehen eher voraus, damit das Pferd sich orientieren und folgen kann. Andere gehen neben dem Kopf, um besser einwirken zu können oder bei drängelnden Pferden auch ein wenig dahinter, um das Pferd zu zügeln. Neben der Schulter, in der Position eines Fohlens zu laufen, erscheint mir ebenso wenig sinnvoll, wie vorauszugehen und das Pferd hinter sich herzuzerren. Vielmehr kommt es auf die Situation und die Umgebung an, welche Führposition korrekt ist. Nebeneinander mit durchhängendem Strick beim Spaziergang ist genauso richtig, wie kurz gehalten entlang einer Straße. Ebenso hängt es vom Pferd ab, ob es flott oder träge ist und wieviel persönlichen Raum es für sich braucht. Doch grundlegend ist die Intention des Führenden: Richtung und Weg klar anvisiert, das Ziel im Fokus und dazu präzise Signale – aufmerksam und nicht achtlos. Vertrauenswürdig müssen Sie sein, damit sich das Pferd bei Ihnen sicher fühlt: klar in der Kommunikation, entspannt und wohlgesonnen. Denn jede Verbindung ist filigran. Zwang, Gewalt oder Einschüchterung zerstören sie sofort und um das Vertrauen dann wieder zu erneuern, braucht es weit mehr Zeit und Energie.

In der Arbeit mit Pferden entwickelt man nicht nur seine reiterlichen Fähigkeiten, sondern auch seine Persönlichkeit. Wenn sie die Escola de Equitação verfolgen, dann haben Sie diesen Satz oft gelesen: „Reiten ist eine Lebensschule“. Das Pferd ist dabei der Lehrer - es ist viel mehr als ein Spiegel, wie so oft gesagt wird, denn es spiegelt nicht nur etwas zurück, sondern bietet immer einen weiteren Entwicklungsschritt an.

Natural Leadership zum Ausprobieren

Schauen Sie doch mal genauer hin, wie Sie Ihr Pferd führen:

  • Führen Sie Ihr Pferd zum Ausprobieren aus unterschiedlichen Positionen. Gehen Sie voraus, daneben, dahinter und beobachten Sie, ob und wie sich die Situation verändert. Klappt es aus jeder Position gleich gut, wo ist es leichter, wo ist es schwieriger?
    Worin genau die Unterschiede liegen, lesen Sie im nächsten Teil der Serie.
  • Führen Sie sehr eng und beobachten Sie, wie Ihr Pferd mit dem Körper ausbalancieren muss, wenn es Kopf und Hals nur minimal bewegen kann.
  • Führen Sie zum Vergleich am langen Strick. Welche Distanz wählt das Pferd, wenn es viel Freiraum hat? Können Sie auch über diese Distanz hin die Führung behalten?
  • Wenn Sie im beruflichen, privaten oder familiären Umfeld die Führung übernehmen, achten Sie doch mal speziell darauf, welche Rolle Vertrauen und Sicherheit spielen …

Wir können viel von Pferden lernen – nehmen wir die Herausforderung an.

Reizthema Pferderettung – Wie wird man eigentlich Pferderetter?

Reizthema Pferderettung
Magazin Piaffe 2/2017
Was kann man erreichen? Warum ist es ein Reizthema?

Kennen Sie die Geschichte, in der der Junge gestrandete Seesterne zurück ins Meer wirft? „Du kannst nicht alle retten“, sagt ein Mann zu ihm. „Was du da tust, ändert nicht das geringste. “ Der Junge hebt jedoch den nächsten Seestern auf und sagt: „Für ihn aber ändert es alles.“
In der letzten Ausgabe der Piaffe haben wir Ihnen ähnliche Enthusiasten vorgestellt: Besitzer geretteter Pferde und ihre Schützlinge. Durch die Rettung aus einer Notsituation, vor der Schlachtung, aus schlechter Haltung oder bei Überproduktion haben diese Menschen ihren Pferden ein neues Leben ermöglicht. Doch kann man so wirklich etwas erreichen? Kann man Veränderungen anstoßen oder verändert man tatsächlich nichts - außer dem Leben des geretteten Tieres?

Es sind keineswegs immer glühende Kämpfer, furchtlose Helden und Gutmenschen, die Pferde retten. Bei der Suche nach einem neuen Pferd, entscheiden sich manche bewusst für ein Pferd aus dem Tierschutz oder ein Schlachtfohlen. Damit ist den Überzähligen schon geholfen. Doch der erste Schritt einer wirklichen Pferderettung ist anders. Meist ist es weder geplant noch beabsichtigt, aber eines haben alle Rettungsaktionen gemeinsam: es ist dieser eine Augenblick, in dem man kurz innehält. Es ist, als würde die Uhr einen Moment aufhören zu ticken. Wenn sie dann weitertickt, ist man sich absolut sicher: da läuft etwas falsch - und dabei kann es nicht bleiben! Man muss etwas tun, etwas ändern.

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Die Gretchenfrage: Wie hältst Du’s mit dem Leckerli?

Wie hältst Du's mit dem Leckerli?
Magazin Piaffe 1/2017

Für die einen gehört es unbedingt im Pferdealltag dazu, für die anderen kommt es im Training überhaupt nicht in Frage: Leckerlis oder ähnliche Belohnungen für Pferde. Es scheiden sich die Geister, dabei hat jede Seite gute Argumente für sich und schlechte gegenüber der anderen Meinung. Das Geben von Leckerlis ist ein Glaubensbekenntnis geworden, fast ein Religionskrieg. Darum haben wir recherchiert, hinterfragt, Expertenmeinungen eingeholt und alles zusammengetragen.

Grundsätzlich geht es um Belohnung. Das Pferd hat etwas gut gemacht und soll dafür belohnt werden. Die Leistung versüßen. Etwas in Aussicht stellen, wofür es sich lohnt, sich anzustrengen. Das grenzt an Bestechung, an Leistung erkaufen. Oder gibt man nur einen guten Freund so etwas wie ein Küsschen? Damit er uns nichts übelnimmt? Eine Entschuldigung für die gemeinsame Arbeit oder vielleicht sogar eine Absolution dafür, dass man das Pferd hart rannimmt?

Blick zurück in die Geschichte

Früher war es Würfelzucker, den man den Pferden zusteckte. Man weiß gar nicht mehr, woher das kommt, aber vermutlich war Würfelzucker einfach praktisch, den hatte man zuhause, der passte in die Tasche. Das Ausnahmepferd Halla bekam nach ihrem Sieg bei der Olympiade 1956 in Stockholm tonnenweise Würfelzucker von ihren Fans per Post zugeschickt. Auch an der Spanischen Hofreitschule in Wien arbeitet man seit jeher mit Würfelzucker als Futterlob. Die braunen Uniformjacken der Bereiter haben extra eine kleine Tasche für die Zuckerstückchen. Zudem war der Zuckerwürfel bei Alois Podhajsky aber auch der Maßstab für die Verschnallung des Nasenriemens: dieser musste so sitzen, dass das Pferd eine Belohnung aufnehmen kann. Ein Zuckerstück hat etwa 15 mm Kantenlänge und um das zwischen die Pferdezähne zu bekommen, braucht es mindestens den üblichen, zwei Finger breiten Spielraum zwischen Nasenriemen und Nasenrücken.

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