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Druck erzeugt Gegendruck

Magazin Piaffe 2/2019

Haben Sie schon einmal versucht ein Pferd beiseite zu schieben? Am Putzplatz, beim Hufschmied oder auch nur, wenn es irgendwo im Weg steht? Vermutlich hat es nicht funktioniert. Vermutlich hat sich das Pferd mit viel Kraft dem Druck entgegengestellt. Es hat seinen Schwerpunkt verlagert und keinen Millimeter nachgegeben. „Druck erzeugt eben Gegendruck“ sagt man sich dann.

Dieses Phänomen kann uns die Evolution wunderbar erklären. Zu Urzeiten, als die Pferde noch in der freien Wildbahn lebten, waren Raubtiere ihre Fressfeinde. Deren Angriff zielte gewöhnlich auf die weiche Stelle des Pferdekörpers ab, zwischen Rippen und Hüfte. Dort können sich Raubtierzähne bestens verbeißen und großen Schaden anrichten. Würde das Pferd nun also weichen und wegrennen, nachdem das Raubtier zugebissen hat, bräuchte dieses nur festhalten, denn durch sein Weglaufen würde das Pferd selbst dazu beitragen, dass die dünnen Gewebeschichten dieser Körperpartie reißen und es hätte ein Loch in der Bauchwand. Damit wäre das Pferd in der Wildnis so gut wie tot. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Pferd überlebt ist viel größer, wenn es sich dem zubeißenden Raubtier abrupt entgegenwirft und dann mit allen Mitteln kämpft. In diesem Moment wird das Raubtier seine Zähne auseinandernehmen und das Pferd hätte schlimmstenfalls eine Bisswunde – aber dadurch kein klaffendes Loch. Über Jahrmillionen haben eben die Tiere überlebt, die gegendrücken, währenddessen die ausgestorben sind, die dem Druck nachgegeben haben oder davongelaufen sind. Und dieses Wissen sitzt als Instinkt noch immer in ihren Köpfen, Genen oder wo auch immer.

Auch im übertragenen Sinne mag es kein Mensch leiden, wenn Druck auf ihn ausgeübt wird. Dem Druck zu weichen wäre eine Möglichkeit, doch das tun wir genauso ungern wie die Pferde. Nachgeben kann man nie in seiner ganzen Größe, nie mit Begeisterung, nie motiviert – sondern vielmehr mit einem Gefühl des Unterlegen seins, Kapitulierens, Resignierens. Wir alle kennen dieses Gefühl selbst und doch fallen wir immer wieder darauf herein. „Dem musst du mal richtig Druck machen!“ geben oder bekommen wir als wohlgemeinten Ratschlag. Wir glauben „viel hilft viel“ - also durch Verstärkung von Input wie Worten, Energie, Hilfen oder Einflussnahme, auch mehr Output, also das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Kennen Sie ein Beispiel, wo das tatsächlich geklappt hat? Ohne Folgeschäden? Dann lassen Sie es mich unbedingt wissen, ich kenne nämlich keins.

Das Pferd, das in der Stallgasse im Weg steht, wird nicht eher weichen, wenn Sie mehr drücken. Auch beim Reiten oder im Training wird mehr Druck nicht zu besseren Ergebnissen führen. Im Falle der negativen Verstärkung ist es sogar grundlegend, dass der Druck sofort aufhört, wenn das Pferd nur eine Mikrobewegung in die richtige Richtung macht.

Genauso ist es im zwischenmenschlichen Bereich. Die meisten Menschen fühlen sich bei Druck absolut überfordert und in die Enge getrieben. Und dann passiert es eben, dass wir langsamer werden, wenn jemand nachdrücklich auf die Erledigung einer Aufgabe drängt. Dass wir schon aus Prinzip dagegen sind, wenn jemand auf etwas beharrt. Dass wir unverbindlicher werden,  wenn jemand hartnäckig ein Ziel verfolgt oder dass wir einfach nicht nachgeben wollen, wenn der andere nicht lockerlässt. Das Druck-erzeugt-Gegendruck-Phänomen sitzt uns genauso in den Genen, wie den Pferden. Wir haben es verinnerlicht und wenden es auch subtil an, indem wir zum Beispiel einfach gestresst gucken, wenn uns jemand antreibt oder mehr aufbürdet. Gestresst gucken bedeutet nämlich noch lange nicht, dass jemand auch tatsächlich gestresst ist. So zeigt eine Studie, dass Arbeitnehmer im Alter zwischen 18 und 34 gerne einmal Stress vortäuschen, um dem Leistungsdruck standzuhalten. Andere quasseln, jammern oder werden hysterisch. „Head down and deliver“ ist ein Slogan der Knechtschaft mancher Unternehmensberatungen, die Rollkur des Business sozusagen, aber schneller bessere Ergebnisse hat dies ebensowenig hervorgebracht.

Besser oder schneller ist kein Resultat von Druck

Pferdetrainer seit jeher waren mit der Aufgabe konfrontiert das Gegendruck Phänomen zu händeln. Bereits Xenophon erklärte in seiner ersten Schrift über die Reitkunst: „Das Pferd wird den Zaum eher annehmen, wenn man ihm danach etwas Gutes angedeihen lässt. Es wird über Gräben setzen, herausspringen und, kurz, alles andere williger ausführen, wenn ihm nach der Ausführung des Befehls Lob und Ruhe zuteilwird.“ Und dieses Wissen sollte sich in unseren Führungsetagen verbreiten: Wer auf einen anderen einwirkt, muss im rechten Moment auch wieder nachlassen, um das Gewünschte zu erreichen. Lob und Ruhe sind auch für Mitarbeiter ein Motivationselement. Gute Führungskräfte achten auf perfektes Timing und nehmen den Druck sofort weg, wenn der Andere nur ansetzt das Richtige zu tun – egal ob der Andere nun ein Pferd oder ein Mensch ist.

Doris Semmelmann

Lomitas – ein aussergewöhnliches Rennpferd

Druck erzeugt Gegendruck

oder wie sollte intelligentes Pferde- Training aussehen?

Der Dokumentarfilm von Gestüt Fährhof über das Ausnahme-Rennpferd Lomitas „His Story“ hat 2016 in New York den Equus Award - den Pferde Oscar – gewonnen.

An dem Beispiel von Lomitas kann man erahnen, dass Vollblüter überaus sensibel auf jede Art von Vorgängen reagieren. Sowohl im negativen Sinn, als Lomitas nicht mehr in die Startbox ging – wie auch im positiven Sinn, als er es nach dem Training mit dem Pferdeflüsterer Monty Roberts wieder tat - so als wären all die Dramen nicht gewesen. Auf den Punkt gebracht: Wäre Lomitas nicht so clever und intelligent gewesen, wäre er nicht so ein Ausnahmerennpferd geworden. Den Kurzfilm „Lomitas – His Story“ sehen Sie hier, mit freundlicher Genehmigung von Gestüt Fährhof.

Lomitas, 1988 geboren, startete als talentierter Zweijähriger seine Rennkariere. Wenn er lief, gewann er mit Leichtigkeit. Er hatte ein paar Schwierigkeiten mit Transportern und Startboxen, aber mit dem was folgte, hatte keiner gerechnet. Das große Desaster kam, als Lomitas seine Entscheidung getroffen hatte, NICHT in die Startbox zu gehen. Niemals! Das Pferd hatte beschlossen nicht mehr zu kooperieren. Es war nicht nur peinlich, es zeigte Grenzen auf und hätte das Ende seiner Karriere bedeutet. Lomitas war gesperrt, sein Züchter Walter J. Jacobs und Trainer Andreas Wöhler gaben ihn aber nicht auf und wollten jeden gangbaren Weg beschreiten, um eine Lösung zu finden. Diese war dann ein gewisser Monty Roberts, der Pferdeflüsterer …

Monty Roberts sagt selbst, dass Lomitas zu den wichtigsten Pferden seines Lebens gehört. Er unterteilt seine Arbeit in die Zeit vor Lomitas und die danach. Schnell fand er damals heraus, dass Lomitas‘ Problem tatsächlich Klaustrophobie war, er mochte keine Enge. Und weil er wiederholt gezwungen worden war, die Enge in Startboxen und Transportern auszuhalten, fürchtete Lomitas zu recht, dass es immer noch schlimmer kommen würde und trat in Streik. Die eigentliche Arbeit des ‚Pferdeflüsterers‘ Monty Roberts hat aber nichts mit Flüstern und Zaubern zu tun, sondern mit dem Aufbau von Vertrauen und Sicherheit.

Beim Interview im April 2016, das ich für das Magazin PIAFFE mit Monty Roberts führte, schweiften wir kurz zum Thema ‚Rennpferde‘ ab. Er erzählt: „Junge Vollblüter kennen es nicht, sich an etwas anzustoßen, bis sie zum ersten Mal in eine Startmaschine gehen. Sie erschrecken, wenn sie die Seitenwand berühren und mindestens die Hälfte aller Jungpferde kämpft dagegen an. Jedes Pferd, das in der Startbox kämpft, verliert dann aber mindestens eine Länge im Rennen.“ Im Film „Secretariat“ gibt John Malkovich als Trainer ‚Lucien Laurin‘ seine Einschätzung des Rennpferdes so ab: „Er lehnt sich an die Startbox, als wär‘s ‘ne Hängematte in der Karibik“. Er beschreibt dasselbe Problem. Monty Roberts plädiert dafür, dass jedes Rennpferd darin trainiert werden sollte, einem Druck auszuweichen. Denn von Natur aus reagiert ein Pferd auf Druck, indem es instinktiv dagegen drückt, sich in den Druck hineinlehnt. Wer schon einmal versucht hat, ein Pferd zur Seite zu schieben, kennt das wahrscheinlich. Das Pferd lehnt sich mit aller Kraft dagegen. Die Natur hat das so eingerichtet, da sich Raubtiere meist in die Flanken der Wildpferde verbissen haben. Um schlimmeren Verletzungen zu entgehen, die entstanden wären, würden die Pferde dem Druck weichen, habe sie gelernt, dagegen zu drücken und zu kämpfen. Heutzutage haben ausgebildete, trainierte Pferde gelernt, dem Druck zu weichen. Seitengänge oder Galoppwechsel in der Dressur sind beste Beispiele dafür.

Monty Roberts und Doris Semmelmann im April 2016 beim Interview im Haupt- und Landesgestüt Schwaiganger
Foto: Paulina Vogelgsang

Doch bei Training von Rennpferden ist das (noch) nicht üblich. „Sie sollten es können, bevor sie das erste Mal eine Startmaschine betreten. Man kann ihnen das in weniger als einer Woche beibringen.“ erklärt Monty Roberts weiter. Vor unserem Interviewtermin hatte er gerade ein Fohlen trainiert, das so sensitiv war, dass es alles über den Haufen rannte, wenn es mit etwas in Berührung kam, das es nicht sehen konnte. Es muss lernen, weder dagegen zu drücken noch zu fliehen, wenn es von etwas berührt wird.

Auch für Lomitas wäre die Startbox kein Problem gewesen, wenn er das als junges Pferd gelernt hätte. „Man stelle sich vor, ich hätte mit dem ersten Fohlen der Evolution trainieren können, auf Druck zu weichen – Startmaschinen wären niemals ein Problem geworden.“ philosophiert Monty Roberts. Man stelle sich vor, wir würden die Intelligenz der Pferde nutzen, um ihnen etwas beizubringen. Man stelle sich vor, wir würden ihnen eigenständiges Lernen ermöglichen, anstatt mit Zügeln, Sporen und Gerten Reaktionen erzwingen. Man stelle sich vor, wir hätten das Phänomen von Druck und Gegendruck wirklich verstanden. Wieviel einfacher wäre das?

Doris Semmelmann,
Dezember 2016

"Pferde müssen lernen, dem Druck zu weichen", erklärt Monty im Video. Für Dressur- oder Western-Pferde ist es normal, für Rennpferde aber leider nicht. Doch wenn Rennpferde sich in der Startbox zuerst gegen den Druck der Railways lehnen, dann müssen sie, wenn das Tor aufgeht, sich aufrichten und nach vorne ausrichten. Das kostet sie eine halbe Länge. Was ist schon eine halbe Länge? Im Rennsport ist es die Grenze zwischen Sieg und Niederlage!