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Natural Leadership: Nicht führbar!

Junge Pferde, roh, frisch von der Koppel oder auch hengstige Wallache und zickige Stuten werden oft als „nicht führbar“ bezeichnet. Gleichzeitig sind sie meist unbalanciert, schwach bemuskelt und schlecht zu reiten. Schnell wird klar, dass weder Gewalt noch Schmerz das widersetzliche Pferd friedlich und kooperativ stimmen und dann kommt meist Horsemanship-Training zum Einsatz. Kann man das Pferd für die Arbeit mit dem Menschen gewinnen, dann waren es weniger die Posen und Gesten, sondern eher eine mentale Verbindung, die entstanden ist. Motivation, Vertrauen und klare Kommunikation bringen die Beziehung ins Gleichgewicht. Dieser Balance im Geist folgt dann die körperliche und man kann mit Muskelaufbau und Gymnastizierung beginnen.

Wie ist es denn nun zum Vergleich im beruflichen Umfeld? Mitarbeiter gelten als „nicht führbar“, wenn sie eigensinnig sind, nicht berechenbar, nicht vertrauenswürdig. Wenn sie Grenzen überschreiten und keine Teamplayer sind, haben es Vorgesetzte schwer und verzweifeln als Führungskraft genauso, wie der Reiter mit dem nicht-führbaren Pferd. Auch hier Fehlanzeige bei Motivation, Vertrauen und Kommunikation. „Menschen, die sich generell nicht führen lassen, machen sich dann oft selbständig oder arbeiten freiberuflich“, sagt Heinz Marty, selbst Pferdemann. Er arbeitet als selbständiger Architekt und wurde in jungen Jahren beim Schweizer Militär als „Nicht führbar“ eingestuft, so der Stempel in seinen Entlassungspapieren.

Eine Weisheit aus dem Horsemanship sagt:

  • In front of every horse is a good trainer.
  • Behind every horse is a great horseman.
  • Beside every horse is a caring partner.

Das Pferd zu führen, indem man vorausgeht, macht einen guten Trainer aus, mit klarer Kommunikation und so genannten Anführer-Qualitäten. Wohingegen aus dem Hintergrund zu agieren bedeutet, nicht nur klare Signale zu senden, sondern auch alle Antennen auf Empfang zu haben und wahrzunehmen, was das Pferd zurücksendet. Das wiederum macht einen guten Horseman aus, der mit feiner Kommunikation Pferde dirigiert. Doch die Position neben einem Pferd, gleichberechtigt in der Mensch-Pferd-Beziehung, das ist Partnerschaft im Pferdealltag. Damit sind keineswegs anspruchsvolle Situationen gemeint oder gar Gefahren – sondern Momente zwischendurch, im Einklang, im Gleichklang, im Gleichschritt. Mitunter braucht man die anderen beiden Stufen, um die dritte zu erreichen.

Barbara Fiedler, Führungskraft im Qualitätsmanagement eines Großunternehmens, erzählt, dass sie von ihren Pferden viel über Führung gelernt hat, vor allem sich selbst klar zu sein und zu kommunizieren, was man von den Mitarbeitern erwartet. „Ich gebe meinen Mitarbeitern Impulse, lasse sie dann machen, und versuche nur einzugreifen, wenn etwas schief läuft“, erzählt sie. Spräche man von Pferden, wäre das bestes Horsemanship. Ein Ziel wird definiert, den Rahmen gibt Fiedler vor und der Rest ist learning by doing. Wenn es scheitert, dann liegt es meist an der Kommunikation, da ist sie sich sicher.

Führungsanspruch abgelehnt?

Bei Pferden, die sich nicht führen lassen, vermutet man auch ein Kommunikationsproblem. Entweder haben sie nicht gelernt, auf die Signale des Menschen zu achten oder aber sie ignorieren den Führungsanspruch. In dem Fall genügt es nicht mehr, richtige Signale zu senden, sondern man muss in der Lage sein, das Feedback zu interpretieren, um daraus Trainingsschritte abzuleiten. „Observe and listen to your horse. Pay attention to the smallest details,” sagt Manuel Jorge de Oliveira. Kein Pferd und kein Mitarbeiter wird von heute auf morgen unführbar. In beiden Fällen gibt es Anzeichen, Signale, Hinweise, die immer stärker werden. Wenn die Gegenseite sie nicht wahrnimmt, folgen Frustration und Resignation. Irgendwann ist dann alles zu spät und die Zusammenarbeit wird eine Qual, für beide Seiten, sowohl bei Pferd und Mensch als auch bei Mitarbeiter und Führungskraft.

Parallelen von Pferden und Mitarbeitern

“The biggest torture of the horse is not to be ridden well,” die größte Tortur für das Pferd ist es, nicht gut geritten zu sein, sagt Manuel Jorge de Oliveira weiter - wobei wir hier von Reitern als Führungskräften sprechen, nicht von Passagieren im Sattel. Und genauso ist es für die Mitarbeiter, schlechte Führung ist eine Tortur. Die einen kündigen oder machen sich selbständig, die anderen leiden still unter Mobbing, Burnout, und Depressionen. Darum ist die Verbesserung der Führungskultur auch ein Bestandteil des betrieblichen Gesundheitsmanagements geworden. „Das Führungsverhalten hat einen signifikanten Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit und gute Führung gilt als gesundheiterhaltender Faktor“, erklärt Daniela Steiner, die bei der Landeshauptstadt München für das Betriebliche Gesundheitsmanagement zuständig ist. „Bei Mitarbeitern, die sich nicht führen lassen, kann man davon ausgehen, dass eine Unzufriedenheit oder eine Art Konflikt dahinterstecken, die es aufzudecken gilt, um passende Maßnahmen abzuleiten und diese umzusetzen sowie zu evaluieren. Dann kann man die Arbeitssituation verbessern und eine nachhaltige Veränderung garantieren. So lässt sich am eigentlichen Problem arbeiten und in der Folge können sich Führungsverhalten und Verhalten des Mitarbeiters gegenüber der Führungskraft verändern, damit eine gute Führung wieder möglich ist.“

Ein guter Horseman geht die Sache genauso an: Bei Pferden, die sich nicht führen lassen, steckt ebenfalls ein Konflikt dahinter, den es aufzudecken gilt um passende Trainingsschritte abzuleiten. Verbessert man die Situation des Pferdes indem man am eigentlichen Problem arbeitet, wird sich auch das Verhalten des Pferdes gegenüber dem Menschen verändern, so dass das Führen wieder klappt. Jedes Mensch-Pferd-Paar ist ein Team, genauso wie Manager und Mitarbeiter, es kann nur gemeinsam funktionieren. Wenn man sich dessen aber nicht bewusst ist und gegeneinander arbeitet, anstatt miteinander, dann wird der Betrieb, der Mitarbeiter oder das Pferd nicht mehr führbar werden.

 

Natural Leadership: Was heisst eigentlich Führen?

Was heisst eigentlich Führen?
Magazin Piaffe 2/2017

Egal in welcher reiterlichen Disziplin man sich bewegt, eines gehört immer dazu: Pferde führen. Aus der Box, auf den Reitplatz, zur Koppel, in den Transporter – am Strick, am Zügel, an der Longe, es wird geführt, was das Zeug hält. Laut Definition ist Führen ein steuerndes und richtungsweisendes Einwirken. Mal klappt es besser, mal schlechter, manchmal übernimmt auch das Pferd die Führung oder es führt einen sogar vor.

Regeln, Lehren oder Theorien gibt es viele. Ob man neben dem Pferd geht oder besser voraus, ob auf Höhe der Schulter oder nur von links, weil es die Pferde seit Kavallerie-Zeiten so gewohnt sind – eine gewisse Führungskompetenz ist dabei immer gefragt. Oder andersherum gesagt: wer diese gewisse Führungskompetenz besitzt, kann ein Pferd von jeder Seite und in jeder Position führen.

Doch Führen heißt nicht nur, mit dem Pferd den Weg von A nach B zurückzulegen. Auch bei der Bodenarbeit wird über alle möglichen Hindernisse geführt. Im übertragenen Sinne führt man auch am Langen Zügel, nämlich aus dem Hintergrund und auch beim Reiten übernimmt man die Führung von oben, über die Einwirkung der reiterlichen Hilfen. Das könnte man nun natürlich mit Kraft versuchen, mit Muskelkraft, genauer gesagt. Mit Ziehen, Schieben, Drücken, bekommt man ein Pferd möglicherweise früher oder später dorthin, wo man es haben möchte. Mancher versucht es auch mit Getöse und Gebrüll oder mit Locken und Leckereien. Doch wenn das Pferd nicht will, dann ist mit alldem nichts zu machen.

Im Natural Horsemanship wird dem Führen große Bedeutung beigemessen und es gibt jede Menge Übungen dazu. Die exakte Position und die richtige Körpersprache kann man lernen; der korrekte Abstand zum Pferd, Augenkontakt oder nicht und die Handhabung des Führseiles sind oftmals nichts anderes als Glaubensbekenntnisse der Lehre oder des Trainers, dem man folgt. Doch die richtig Guten können es so oder so – egal welcher Lehre sie folgen. Und zur allgemeinen Verwirrung ist genau das No-Go des einen, manchmal der Geheimtipp des anderen. Und die Pferde? Denen ist es ziemlich egal, welchem Guru man folgt oder welches Label auf dem Equipment steht.

Natürlich sind all die Erkenntnisse, auf denen die unterschiedlichen Trainingsmethoden basieren, wichtig und hilfreich. Doch der kleinste gemeinsame Nenner ist simpel: es geht um Vertrauen. Wir Menschen lernen es als Kind an der Hand unserer Eltern, so geführt entdecken wir die Welt. Später haben wir hoffentlich einen Lehrer, Ausbilder oder Chef, der uns anleitet Herausforderungen anzunehmen und Niederlagen zu überwinden. Ebenso das Pferd: vertraut es seiner Führungsperson, dann wird es folgen. Pferde sind Herdentiere, sie schließen sich gerne demjenigen an, der ihnen Sicherheit bietet. Pferde sind aber auch Fluchttiere und permanent dabei, alle Signale aus der Umgebung aufzunehmen und auf mögliche Informationen und Gefahren hin zu überprüfen. Sobald sie ihre Sicherheit bedroht sehen, sind sie auf und davon. Bildlich gesprochen, indem sie abhauen und durchgehen – oder auch nur sinnbildlich, wenn sie abschalten und wie angewurzelt stehenbleiben.

Derjenige, dem andere freiwillig folgen, hat Führungskompetenz. Eine ausführliche Definition von Führung sagt, dass man versucht, ein anderes Lebewesen zur Erfüllung gemeinsamer Aufgaben und zur Erreichung gemeinsamer Ziele zu veranlassen und zwar mit sozialer Einflussnahme. Das gelingt jedoch nicht mit antrainierten Posen und teurem Equipment. Grundelemente dafür sind Vertrauen und Sicherheit. Genauso wie in unserem zwischenmenschlichen privaten oder beruflichen Umfeld, sind auch für Pferde diejenigen Führungspersönlichkeiten, denen man sich gerne anschließt. Man vertraut und fühlt sich sicher. Solche Menschen sind oft charismatisch, aber sie sind auch immer authentisch. Wenn Sie auf Ihrem Berufsweg einen solchen Chef hatten, dann können sie sich glücklich schätzen. Vielleicht ist er ein Vorbild für etwas, was man auf keiner Universität oder Elite-Hochschule lernt.

Und genauso ist es mit dem Pferd. Wenn es Ihnen vertraut, dann können Sie es leicht führen, in bekannter Umgebung genauso wie in unwegsamen Gelände. Üblicherweise führt man von der Seite. Manche gehen eher voraus, damit das Pferd sich orientieren und folgen kann. Andere gehen neben dem Kopf, um besser einwirken zu können oder bei drängelnden Pferden auch ein wenig dahinter, um das Pferd zu zügeln. Neben der Schulter, in der Position eines Fohlens zu laufen, erscheint mir ebenso wenig sinnvoll, wie vorauszugehen und das Pferd hinter sich herzuzerren. Vielmehr kommt es auf die Situation und die Umgebung an, welche Führposition korrekt ist. Nebeneinander mit durchhängendem Strick beim Spaziergang ist genauso richtig, wie kurz gehalten entlang einer Straße. Ebenso hängt es vom Pferd ab, ob es flott oder träge ist und wieviel persönlichen Raum es für sich braucht. Doch grundlegend ist die Intention des Führenden: Richtung und Weg klar anvisiert, das Ziel im Fokus und dazu präzise Signale – aufmerksam und nicht achtlos. Vertrauenswürdig müssen Sie sein, damit sich das Pferd bei Ihnen sicher fühlt: klar in der Kommunikation, entspannt und wohlgesonnen. Denn jede Verbindung ist filigran. Zwang, Gewalt oder Einschüchterung zerstören sie sofort und um das Vertrauen dann wieder zu erneuern, braucht es weit mehr Zeit und Energie.

In der Arbeit mit Pferden entwickelt man nicht nur seine reiterlichen Fähigkeiten, sondern auch seine Persönlichkeit. Wenn sie die Escola de Equitação verfolgen, dann haben Sie diesen Satz oft gelesen: „Reiten ist eine Lebensschule“. Das Pferd ist dabei der Lehrer - es ist viel mehr als ein Spiegel, wie so oft gesagt wird, denn es spiegelt nicht nur etwas zurück, sondern bietet immer einen weiteren Entwicklungsschritt an.

Natural Leadership zum Ausprobieren

Schauen Sie doch mal genauer hin, wie Sie Ihr Pferd führen:

  • Führen Sie Ihr Pferd zum Ausprobieren aus unterschiedlichen Positionen. Gehen Sie voraus, daneben, dahinter und beobachten Sie, ob und wie sich die Situation verändert. Klappt es aus jeder Position gleich gut, wo ist es leichter, wo ist es schwieriger?
    Worin genau die Unterschiede liegen, lesen Sie im nächsten Teil der Serie.
  • Führen Sie sehr eng und beobachten Sie, wie Ihr Pferd mit dem Körper ausbalancieren muss, wenn es Kopf und Hals nur minimal bewegen kann.
  • Führen Sie zum Vergleich am langen Strick. Welche Distanz wählt das Pferd, wenn es viel Freiraum hat? Können Sie auch über diese Distanz hin die Führung behalten?
  • Wenn Sie im beruflichen, privaten oder familiären Umfeld die Führung übernehmen, achten Sie doch mal speziell darauf, welche Rolle Vertrauen und Sicherheit spielen …

Wir können viel von Pferden lernen – nehmen wir die Herausforderung an.