Tag Archiv: Coaching

Mogelpackung mit Kristallkugel

Eine Redakteurin von ze.tt, einem Partner von ZEIT online erzählt, was sie im Coaching von einem Pferd gelernt hat -

wobei das leider eine Mogelpackung war ...


 

"Bin ich wirklich glücklich? Bin ich da, wo ich sein will? Auch wenn ich ein schönes Leben habe, könnte es nicht sein, dass ich etwas verdränge?", all das sind Fragen, die man sich so stellen mag, wenn man zu viel Zeit hat, wie die Redakteurin zu Beginn ihres Textes selbst reflektiert. Und dann bucht sie ein Tiergestütztes Coaching mit Pferd, das Pferd als Spiegel der Seele. Es folgt ein sogenannter Erfahrungsbericht.

 


 

Was ist passiert?

Um die Frage "ob ein Pferd mir etwas widerspiegeln kann, worüber ich mir vielleicht selbst noch gar nicht im Klaren bin", soll es also gehen in dem Experiment. Das ist kein Ausgangspunkt für ein Coaching, sondern eher ein Blick in die Kristallkugel. Weiter erzählt sie, dass ihr ein Pferd zugeteilt wurde, vor dem sie sich fürchtet - doch das Pferd hätte sie ausgesucht, so die Trainerin. Dann folgen einige Übungen, in denen sie das Pferd führen, durch einen Parcours ohne Führstrick dirigieren, mit einer Gerte freilaufend Traben lassen soll. Dabei fühlt sie sich wie jemand, der am liebsten weglaufen würde und hat Angst vor dem Pferd. "Es ist der Moment, in dem ich mich frage, ob das alles hier eine gute Idee war", sagt sie selbst.

Für mich ist es der Moment in dem ich mich frage: Was soll das??? Das ist weder Coaching noch pferdegestützt, sondern hört sich eher nach Horsemanship an, also Übungen, wie man mit Pferden umgeht. Oder eine Challenge gegen die eigene Angst? Dazu wird munter alles durcheinandergeworfen: Coaching - aber keine richtige Therapie sei das, ein Persönlichkeitstraining, aber zugleich pädagogische Arbeit mit Tieren, angeleitet von einer Trainerin - einer für Pferde oder für Menschen? Neben Pferdecoaching kann man bei der übrigens auch Kindergeburtstage buchen.

In einem Coaching geht es prinzipiell darum, gemeinsam die Lösung für ein Problem zu erarbeiten oder eine Entwicklung auf ein definiertes Ziel hin zu begleiten. Dabei wird aber nichts trainiert. Eine Therapie hingegen bedarf einer Diagnose - das ist etwas völlig anderes. Und tiergestützte Pädagogik konzentriert sich auf Erziehung und Bildung - wieder etwas total anderes. Für die Redakteurin hätte ich mir gewünscht, dass sie in ihren Recherchen sorgfältiger ist, genauso auch in der Definition ihres eigenen Zieles für dieses Experiment.

Ich lehne es strikt ab, im tiergestützen Coaching oder Persönlichkeits-Training den Coachee, Klienten oder Kunden mit einem Tier arbeiten zu lassen, vor dem er Angst hat. Angst verhindert Lernen, blockiert Entwicklung und Kreativität. Im schlimmsten Fall verknüpft man sogar den Lernschritt mit der Angst und speichert das im Gehirn ab. Dann muss man viel Energie darauf verwenden, die Angst wieder abzutrainieren. Für Menschen, die mit Pferden arbeiten ist dies eine Binsenweisheit.

You can never rely on a horse that is educated by fear. There will always be something that he fears more than you. But, when he trusts you, he will ask you, what to do when he is afraid.

Antoine de Pluvinel, Reitmeister, ca.  anno 1625

Der Einsatz eines Tieres im Coaching ist der Türöffner oder Katalysator für die eigentliche Arbeit. Das Tier reagiert auf den Menschen, auf seine Körpersprache, seine Aktionen und auch auf seine Absichten. Das ist es viel mehr als ein Spiegel, der nur abbildet das vor ihm passiert. Insbesondere Pferde haben eine phantastische Sinneswahrnehmung, sie spüren versteckte Botschaften auf und es findet ein Kommunikationsprozess auf einer höheren Ebene statt. Mit der Beobachtung und Analyse der Reaktionen des Pferdes beginnt der eigentliche Prozess. Im Coaching- Gespräch werden dann die Parallelen zu persönlichen Mustern im Alltag herausgearbeitet und Lösungswege gesucht. Oftmals bietet es sich an, diese Lösungen wieder in der Interaktion von Mensch und Pferd auszuprobieren, denn Pferde passen ihr Verhalten selbst kleinsten Veränderungen an, was dem Teilnehmer die Möglichkeit gibt, neue Verhaltensweisen auszuprobieren und Gelerntes sofort anzuwenden. Und so spürt der Coachee, wie es sich anfühlt, wenn man dieses Problem, diese Blockade gelöst hat. Damit - und nur damit - ist man einen Schritt weitergekommen, auf seinem persönlichen Weg. Und nur das verdient den Namen tiergestütztes Coaching.

Die Frage, ob es etwas gibt, worüber man sich selbst noch nicht im Klaren ist, mit Nein zu beantworten, weil das Pferd problemlos mit dem Kunden interagiert, ist genauso wie wenn man Krake Paul fragt, wer Fußball-Weltmeister wird: es ist der Blick in die Kristallkugel. Für die Redakteurin bedaure ich, dass sie von dem, was tiergestütztes Coaching kann, leider nur ein Drittel bekommen hat. Doch noch viel mehr bedaure ich, dass all die Leser des Artikels denken, das wäre alles gewesen, was tiergestützes Coaching zu bieten hat!

Doris Semmelmann, im Dezember 2017

 

Alle Jobhindernisse auf einmal

Ü-60 und Nicht-Muttersprachler konkurrieren mit Idealkandidaten und treffen auf befristete Arbeitsverträge

Die wenigsten Bewerber auf dem Arbeitsmarkt sind Idealkandidaten, denn jeder hat irgendetwas, das irgendwo nicht passt. Oftmals beschleicht einen das Gefühl, die Stellenausschreibung verlangt gar unmögliches. Oder - andererseits - bieten Unternehmen Stellen an, die einen Haken haben. Und manchmal trifft auch alles zusammen.

Dann sieht man total schwarz - oder?

Stellensuchende im höheren Alter tun sich oft schwer. Absagen oder gar keine Antworten lassen vermuten, die Entscheidung lautet: zu alt. Auch Nicht-Muttersprachler haben oftmals das Gefühl, sie werden aussortiert, wegen nicht-perfekter Deutschkenntnisse. Wie kommt man dagegen an? Noch ein Sprachzertifikat machen? Aber das Lebensalter lässt sich nicht abschütteln.

 


 

Dem Feind ins Auge sehen

Man kann natürlich die Strategie verfolgen, diese Mängel zu kaschieren. Viele Bewerbungstipps raten dazu. Viele Job-Berater arbeiten mit Feuereifer daran, diese sogenannten Mängel zu überspielen oder zu beschönigen. Der Bewerber selbst kommt sich dann aber immer mehr vor, wie eine Mogelpackung, stets in der Hoffnung, dass er nicht auffliegt.

Anders ist diese Geschichte:

Ein Bewerber, Ü-60, geboren und aufgewachsen im europäischen Ausland ist auf Jobsuche, weil sein langjähriger Arbeitgeber seine Abteilung kostensparend auf einen anderen Kontinent outgesourced hat. Die erste Arbeit im Coaching besteht darin, seine Fähigkeiten und Kompetenzen in den Vordergrund zu rücken. Damit treten die sogenannten Mängel automatisch in den Hintergrund, dort müssen sie gar nicht mehr kaschiert werden. Bei der Recherche findet er eine Stellenanzeige, die hohe Anforderungen stellt. Die erfüllt er zwar, aber viele andere, junge, karriereorientierte Idealkandidaten sicher auch. Die Stelle hat allerdings einen Haken: befristet auf 2 Jahre. Insgeheim denkt er sich, dass das ja nichts macht, denn dann stünde ja sowieso sein Ruhestand an. Aber was ist das denn für ein Argument? Kann man damit punkten? Ich finde: ja! Er hat es gutgeheißen, es riskiert und sehr elegant formuliert, dass ihm die Befristung der Stelle sehr gelegen käme und er in der verbleibenden Zeit seines Berufslebens gern nochmal Vollgas geben möchte.

Und - was soll ich sagen: Bingo!

Nur ein paar Tage nach Absenden der Bewerbung bekam er die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Nicht das Kaschieren der Defizite, sondern Synergiepotentiale lassen eine Win- Win Situation entstehen.

 

Doris Semmelmann, im November 2017

Die Hummel

Manchmal wird es sehr ernst bei den Ponyhof-Workshops. So nenne ich die Seminare zur Persönlichkeitsentwicklung mit Pferden als Co-Trainer, weil das Leben ja nun mal kein Ponyhof ist. Manchmal sind wir an einem Punkt, da hat ein Teilnehmer viel gearbeitet, hat sich getraut, sich eingelassen und angenommen, was die Pferde gezeigt und widergespiegelt haben. Und trotzdem, in der Reflexionsrunde macht sich ein Gefühl der Ratlosigkeit breit, es heißt „ja und?“ oder „ja, aber …“ und das Gefühl des Verstehens, die Erkenntnis oder die Klarheit wollen sich einfach nicht einstellen. Mit reden komme ich da nicht mehr weiter, das weiß ich, denn um etwas wirklich zu verinnerlichen müssen sich Herz und Verstand einig sein.

In solchen Situationen kommen mir dann manchmal andere zu Hilfe. Andere Tiere, die nicht als Co-Trainer eingeteilt oder eingeplant waren. So wie die Hummel.

Eine der Teilnehmerinnen im Workshop traut sich selbst wenig zu. Immer auf Harmonie bedacht, niemandem in ihrem Umfeld soll irgendetwas unangenehm sein, lieber steckt sie selbst zurück. Das erkennt sie auch, sieht es in der Videoanalyse, bestätigt auch das Feedback der anderen Teilnehmer. Doch alle möglichen Lösungsansätze erscheinen ihr unrealistisch, sie könnte es nicht umsetzen, weil sie es sich nicht vorstellen kann. Normalerweise verlässt sie sich auf ihre Intuition, erzählt sie, aber ein Beispiel dazu kann sie nicht erzählen, es fällt ihr keines ein. Wann hat eigentlich mal was geklappt? 

Während dieser Gesprächsrunde summt eine dicke Hummel hinter ihr am Fenster. Laut. Immer lauter, penetrant. Es stört. „Lasst sie mal raus“ sagt irgendwer. Es ist die Teilnehmerin um die es gerade geht, die auf die Bank klettert. Nicht die links oder rechts neben ihr an diesem Fenster sitzen. Nach Anweisung der Anderen nimmt sie die Gardinenstange ab, öffnet das Fenster und geleitet die Hummel sanft ins Freie.

Während ich ihr zugesehen habe, ist es mir plötzlich klar geworden. So ist es immer.
Als sie sich wieder hingesetzt hat, will sie zur Tagesordnung übergehen, aber ich unterbreche sie. „Was hast du gerade gemacht?“ frage ich. „Ich? Ähm … Nichts!? Keine Ahnung … “ Doch langsam fällt der Groschen. Bei allen. „Ich hätte mich das nicht getraut.“ sagt einer. „Ich hätte die mit einem Papier rausgescheucht.“ sagt jemand anderes. „So viel Geduld hätte ich nicht gehabt.“ fügt noch jemand hinzu. Wir helfen ihr, diesen Moment mit der Hummel im Gedächtnis zu behalten. Zu verankern, wie man, von seiner eigenen Intuition geleitet, ein klar vorgegebenes Ziel erreichen kann. Und ich bin mir sicher, dass keine Trainingsmethode, kein NLP-Anker, kein Brain-Gym und keine Wunsch-Visualisierung besser funktioniert hätten. Ich freue mich auf den Moment, wenn sie in naher Zukunft bei ihrem Chef oder ihren Kollegen etwas erreichen möchte und dabei an die Hummel denkt. Es wird klappen, da bin ich mir sicher.

Das Hummel Paradoxon erklärt ja, dass eine Hummel nach den Gesetzen der Aerodynamik nicht fliegen könne. Man sagt, die Fläche ihrer Flügel sei zu klein um ihr Gewicht zu tragen. Aber da die Hummel die Gesetze der Aerodynamik nicht kennt, fliegt sie trotzdem. Manchmal weiss man gar nicht genau was man tut und schon gar nicht wie man das macht. Wenn man darüber nachdenkt oder danach gefragt wird, kann man es nicht erklären und damit werden diese Fähigkeiten klein und unscheinbar. Kümmert man sich aber nicht um Erklärungen oder Argumente sondern vertraut darauf, dass man es kann, dann macht man es wie die Hummel. Und Vertrauen in sich selbst ist die elementare Grundlage für jedes Gelingen.

Danke, Hummel-Co-Trainerin, denke ich still, und genieße Du jetzt den restlichen Tag in Freiheit.

Beim Workshop "Das Leben ist kein Ponyhof" in Happach, Mai 2015

Foto: Caroline Hosmann, www.naturkinder.com