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Alphatiere

Magazin Piaffe 1/2019

Jede Herde hat ihr Alphatier. Es ist das Leittier, meist das stärkste und erfahrenste Tier in der Gruppe. In der Verhaltensforschung ist es üblich, die Herdenmitglieder durchzunummerieren, auf Alpha folgt Beta als Nummer zwei der Rangordnung und an letzter Stelle steht dann das Omega-Tier.

Ranghöchste Tiere sind meist besonders kräftig und haben Vorrang bei Futter und Wasser. Oft beeinflussen sie auch die Fortpflanzung, so dass sich die eigenen Gene mehr verbreiten, als die der rangniederen Artgenossen. Dies kann langfristig ein Vorteil sein für den Fortbestand der Gruppe. Neben den Vorteilen hat das Alphatier aber auch gewisse Pflichten zu erfüllen, so zum Beispiel das Auffinden von Futterplätzen und Wasserstellen, die Abwehr von Gefahr sowie die Einhaltung der Herdenregeln und das Schlichten von Streitigkeiten zwischen rangniederen Tieren. Bei Querelen innerhalb der Herde und im Kontakt mit anderen Gruppen schreitet das Alphatier ein und wirkt durchaus auch erzieherisch auf andere Herdenmitglieder. Bei Angriffen von außen verteidigt es die Herde, beschützt, kämpft und stellt sich gegen den Feind.

Die Bezeichnung Alphatier kann sowohl einen positiven als auch einen negativen Beigeschmack haben. Im positiven Sinn meint man souverän, energisch und willensstark. Negativ geäußert, bedeutet der Begriff Alphatier autoritär, dominant, angriffslustig und dickköpfig.

Als Tiermetapher wird die Bezeichnung „Alphatier“ für durchsetzungsstarke, dominante Menschen in Führungssituationen genutzt, meist Männer. Das so genannte „Alphamännchen“ klingt niedlich, ist es aber ganz und gar nicht. In neu zusammengestellten Gruppen werden dominante und von sich selbst überzeugte Macher tatsächlich am häufigsten zu Anführern. Menschen neigen dazu, erst einmal jenen zu folgen, die sich am stärksten in Szene setzen. Auch in bestehenden Hierarchien werden herrische Züge des Chefs von seinen Mitarbeitern durchaus als durchsetzungsstarke Führungskompetenz gewertet. „So sehen Sieger aus“ heißt es dann anerkennend im Kollegenkreis. Fakt ist, dass man nicht auf einer sanften Welle nach oben in die Chefetage gespült wird. Ein starkes Selbstbewusstsein und eine gewisse Härte haben die meisten Karrieristen dorthin gebracht. Steve Jobs zum Beispiel, hat seine Visionen für Apple immer durchgesetzt und damit ein immenses Imperium aufgebaut. Kreativ und innovativ prägte er das digitale Zeitalter wie kein anderer. Auf einer Tagung im September 1982 sagte er: "Es ist besser, ein Pirat zu sein, als der Navy beizutreten.“

Doch das klare Anführertum ist nur eine Facette des Alphatiers und seine Dominanz kann sich ganz unterschiedlich zeigen. Menschliche Alphatiere wollen eher nicht managen – sie wollen gewinnen, klar, eindeutig und am liebsten haushoch. Nachgeben oder einlenken ist kein Fall für Alphatiere. Solches Verhalten kann dann leicht ins Zerstörerische umschlagen und sie kämpfen bis zur totalen Erschöpfung. Doch während beim Duell im Tierreich die Unterwerfungsgeste des Gegners eine Beißhemmung auslöst und den Kampf üblicherweise beendet, ist es im zwischenmenschlichen Bereich anders. Menschliche Alphatiere feuern verbal weiter auf den Unterlegenen und können im Sog des Siegens nicht aufhören. Adrenalingeladen empfinden sie das als so befriedigend, dass sie wie in einen Blutrausch geraten. Mediation oder Coaching ist im Extremfall leider zwecklos. Das wäre, als würde man einem schnaubend kämpfenden Hengst „Ruhig, Brauner!“ zurufen und erwarten, dass er sich beherrscht.

Angetrieben von Macht und Erfolgsfantasien ist es die größte Angst des Alphatieres, den hohen Status wieder zu verlieren. So soll eben jener Steve Jobs einen Manager kurzerhand gefeuert haben, weil dieser auf einem von Jobs erstellten Flipchart eine kleine Ergänzung anbringen wollte. Man hüte sich davor, ein Alphatier zu verbessern! Schließlich kann das Alphatier alles und weiß alles. Meist zieht es breitbeinig eine „One-Man-Show“ ab. So floss das Alphatier-Gehabe auch in die Arbeit mit Pferden ein und gipfelte in diverse Varianten von Dominanz-Trainingsmethoden. Dabei mag sich so manches Pferd gewundert haben, mit welch seltsamen Gebaren diese Menschen da auftraten. Posen und Gesten sollten die Rangordnung zwischen Pferd und Mensch klarstellen. Wie das aggressivste Huhn, das zuoberst auf der Leiter hockt, despotisch auf alle anderen Hühner herunter hackt, dabei selbst von keinem gehackt wird, hat mancher Pferdetrainer versucht, die Pferde zu unterwerfen. 

Dabei hatte die Natur das ganz anders vorgesehen. Langzeitbeobachtungen an freilebenden Alphatieren unterschiedlicher Spezies haben gezeigt, dass diese nur situationsbezogen autoritär auftreten. Den Nutzen einer Rangordnung sehen Verhaltensbiologen darin, dass Kämpfe und Streitigkeiten, die Kraft und Zeit kosten auf ein Minimum beschränkt bleiben. Zudem scheint Freundschaft ein nicht zu unterschätzender Faktor zu sein. Darüber hinaus unterscheidet man mittlerweile zwischen unterschiedlichen Alphatypen. So nimmt der Dominante zwar eine Führungsrolle ein, baut dabei jedoch Druck auf und schreckt vor Drohungen nicht zurück. Gern hat er alles unter Kontrolle, lässt sich nicht täuschen und duldet keine Widerrede. Doch es ist nicht der Großspurigste und Lauterste, dem die anderen Vertrauen schenken. Vielmehr ist ein Leader der geborene Anführer. Er kennt das Ziel und den Weg dorthin. Mutig, souverän und charismatisch führt er die Truppe an, egal ob Menschen oder Pferde. Er ist sich seiner Stärke bewusst und muss sie nicht demonstrieren. Dadurch motiviert er andere, sich ihm anzuschließen.

Wohingegen jeder, der seine Dominanz stark auslebt, auf Gegenwind gefasst sein muss. Herdenmitglieder, genauso wie Mitarbeiter werden von der penetrant demonstrierten Vorherrschaft auf Dauer frustriert oder reagieren feindselig, wütend bis hin zu ängstlich. Entweder beugen sie sich und ordnen sich dem Alphatier zähneknirschend unter oder sie suchen das Weite. Daher erfahren dominante Alphatiere selten, welche Vorzüge es hat, andere zu respektieren und wie ein harmonisches Miteinander aussieht.

Doris Semmelmann

Natural Leadership: Nicht führbar!

Junge Pferde, roh, frisch von der Koppel oder auch hengstige Wallache und zickige Stuten werden oft als „nicht führbar“ bezeichnet. Gleichzeitig sind sie meist unbalanciert, schwach bemuskelt und schlecht zu reiten. Schnell wird klar, dass weder Gewalt noch Schmerz das widersetzliche Pferd friedlich und kooperativ stimmen und dann kommt meist Horsemanship-Training zum Einsatz. Kann man das Pferd für die Arbeit mit dem Menschen gewinnen, dann waren es weniger die Posen und Gesten, sondern eher eine mentale Verbindung, die entstanden ist. Motivation, Vertrauen und klare Kommunikation bringen die Beziehung ins Gleichgewicht. Dieser Balance im Geist folgt dann die körperliche und man kann mit Muskelaufbau und Gymnastizierung beginnen.

Wie ist es denn nun zum Vergleich im beruflichen Umfeld? Mitarbeiter gelten als „nicht führbar“, wenn sie eigensinnig sind, nicht berechenbar, nicht vertrauenswürdig. Wenn sie Grenzen überschreiten und keine Teamplayer sind, haben es Vorgesetzte schwer und verzweifeln als Führungskraft genauso, wie der Reiter mit dem nicht-führbaren Pferd. Auch hier Fehlanzeige bei Motivation, Vertrauen und Kommunikation. „Menschen, die sich generell nicht führen lassen, machen sich dann oft selbständig oder arbeiten freiberuflich“, sagt Heinz Marty, selbst Pferdemann. Er arbeitet als selbständiger Architekt und wurde in jungen Jahren beim Schweizer Militär als „Nicht führbar“ eingestuft, so der Stempel in seinen Entlassungspapieren.

Eine Weisheit aus dem Horsemanship sagt:

  • In front of every horse is a good trainer.
  • Behind every horse is a great horseman.
  • Beside every horse is a caring partner.

Das Pferd zu führen, indem man vorausgeht, macht einen guten Trainer aus, mit klarer Kommunikation und so genannten Anführer-Qualitäten. Wohingegen aus dem Hintergrund zu agieren bedeutet, nicht nur klare Signale zu senden, sondern auch alle Antennen auf Empfang zu haben und wahrzunehmen, was das Pferd zurücksendet. Das wiederum macht einen guten Horseman aus, der mit feiner Kommunikation Pferde dirigiert. Doch die Position neben einem Pferd, gleichberechtigt in der Mensch-Pferd-Beziehung, das ist Partnerschaft im Pferdealltag. Damit sind keineswegs anspruchsvolle Situationen gemeint oder gar Gefahren – sondern Momente zwischendurch, im Einklang, im Gleichklang, im Gleichschritt. Mitunter braucht man die anderen beiden Stufen, um die dritte zu erreichen.

Barbara Fiedler, Führungskraft im Qualitätsmanagement eines Großunternehmens, erzählt, dass sie von ihren Pferden viel über Führung gelernt hat, vor allem sich selbst klar zu sein und zu kommunizieren, was man von den Mitarbeitern erwartet. „Ich gebe meinen Mitarbeitern Impulse, lasse sie dann machen, und versuche nur einzugreifen, wenn etwas schief läuft“, erzählt sie. Spräche man von Pferden, wäre das bestes Horsemanship. Ein Ziel wird definiert, den Rahmen gibt Fiedler vor und der Rest ist learning by doing. Wenn es scheitert, dann liegt es meist an der Kommunikation, da ist sie sich sicher.

Führungsanspruch abgelehnt?

Bei Pferden, die sich nicht führen lassen, vermutet man auch ein Kommunikationsproblem. Entweder haben sie nicht gelernt, auf die Signale des Menschen zu achten oder aber sie ignorieren den Führungsanspruch. In dem Fall genügt es nicht mehr, richtige Signale zu senden, sondern man muss in der Lage sein, das Feedback zu interpretieren, um daraus Trainingsschritte abzuleiten. „Observe and listen to your horse. Pay attention to the smallest details,” sagt Manuel Jorge de Oliveira. Kein Pferd und kein Mitarbeiter wird von heute auf morgen unführbar. In beiden Fällen gibt es Anzeichen, Signale, Hinweise, die immer stärker werden. Wenn die Gegenseite sie nicht wahrnimmt, folgen Frustration und Resignation. Irgendwann ist dann alles zu spät und die Zusammenarbeit wird eine Qual, für beide Seiten, sowohl bei Pferd und Mensch als auch bei Mitarbeiter und Führungskraft.

Parallelen von Pferden und Mitarbeitern

“The biggest torture of the horse is not to be ridden well,” die größte Tortur für das Pferd ist es, nicht gut geritten zu sein, sagt Manuel Jorge de Oliveira weiter - wobei wir hier von Reitern als Führungskräften sprechen, nicht von Passagieren im Sattel. Und genauso ist es für die Mitarbeiter, schlechte Führung ist eine Tortur. Die einen kündigen oder machen sich selbständig, die anderen leiden still unter Mobbing, Burnout, und Depressionen. Darum ist die Verbesserung der Führungskultur auch ein Bestandteil des betrieblichen Gesundheitsmanagements geworden. „Das Führungsverhalten hat einen signifikanten Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit und gute Führung gilt als gesundheiterhaltender Faktor“, erklärt Daniela Steiner, die bei der Landeshauptstadt München für das Betriebliche Gesundheitsmanagement zuständig ist. „Bei Mitarbeitern, die sich nicht führen lassen, kann man davon ausgehen, dass eine Unzufriedenheit oder eine Art Konflikt dahinterstecken, die es aufzudecken gilt, um passende Maßnahmen abzuleiten und diese umzusetzen sowie zu evaluieren. Dann kann man die Arbeitssituation verbessern und eine nachhaltige Veränderung garantieren. So lässt sich am eigentlichen Problem arbeiten und in der Folge können sich Führungsverhalten und Verhalten des Mitarbeiters gegenüber der Führungskraft verändern, damit eine gute Führung wieder möglich ist.“

Ein guter Horseman geht die Sache genauso an: Bei Pferden, die sich nicht führen lassen, steckt ebenfalls ein Konflikt dahinter, den es aufzudecken gilt um passende Trainingsschritte abzuleiten. Verbessert man die Situation des Pferdes indem man am eigentlichen Problem arbeitet, wird sich auch das Verhalten des Pferdes gegenüber dem Menschen verändern, so dass das Führen wieder klappt. Jedes Mensch-Pferd-Paar ist ein Team, genauso wie Manager und Mitarbeiter, es kann nur gemeinsam funktionieren. Wenn man sich dessen aber nicht bewusst ist und gegeneinander arbeitet, anstatt miteinander, dann wird der Betrieb, der Mitarbeiter oder das Pferd nicht mehr führbar werden.