Pfadfinder-Geschichten

Es war ein klarer, klirrend kalter Wintertag. Die Sonne scheint und täuscht über die eisige Kälte hinweg. Perfekt für einen Ausritt mit Farah.

Farah Diba, wie sie eigentlich heisst ist eine souveräne und selbstbewusste Schimmelstute. Wenn wir beide alleine unterwegs sind, ohne andere Pferde, dann lassen wir uns meistens treiben, nehmen die Wege wie sie kommen und reiten in dem Tempo, das uns grade passt.

Wir nehmen also den Weg in den Wald. Dort ist es noch kälter und die Sonne berührt nur die obersten Baumwipfel. Pferde mögen es, wenn es kalt ist und ich mag diese ungetrübten Wintertage auch. Wir gehen ein Stück, es ist herrlich und der Kopf wird klar. Aber nach einiger Zeit frieren meine Finger und die Füße ebenfalls. Wir traben und galoppieren ein Stück, Farah schnaubt und geniest es, aber wirklich warm wird mir dabei nicht. Ich überlege kurz und steuere den Weg am Waldrand an, in der Hoffnung, dass dort noch ein bisschen Sonne ist. Irrtum, auch dort ist Schatten und man sieht die Sonne nur ganz oben. „Farah“; sage ich halblaut zu uns beiden „da sind wir heute irgendwie falsch gegangen. Die Runde über die Felder wäre besser gewesen, da wäre Sonne.“ Und ich denke daran, wie die Sonne auf das gefrorene Gras scheint, die Luft glitzert und wie da dann der Wald riecht. Wir biegen ab auf einen Rundweg, der eine schöne Galoppstrecke ist, um uns nochmal aufzuwärmen und dann den Rückweg anzutreten. Farah galoppiert. Aber ganz hinten auf dem Rundweg wird sie langsamer und plötzlich schlägt sie einen Haken und läuft direkt in den Wald. Als ich mich im Sattel wieder sortiert habe, erkenne ich, dass das ein alter, zugewachsener Weg ist. Moos wuchert, Äste liegen quer, hier ist schon lange niemand mehr gegangen. Ich mag solche Wege, die irgendwie verwunschen scheinen und sage wieder halblaut: „ok Farah, wenn du meinst… Wir werden schon sehen, wohin wir da kommen.“ Pferde haben einen untrüglichen Orientierungssinn und sie finden immer nach Hause, das hat gerade Farah schon oft bewiesen. Der Weg schlängelt sich durch den Wald. Mehrmals verliere ich ihn aus den Augen, denke schon er hat aufgehört, aber Farah ist sicher und findet immer wieder zielstrebig den Anschluss. Dann geht es auf einmal bergauf. Sie klettert hinauf und ich ahne dass sie genau weiss, wohin.

Und dann ganz unvermutet stehen die Bäume weiter auseinander, Moos und Steine dazwischen und plötzlich sehe ich eine Lichtung, die im hellen warmen Sonnenschein liegt. Mir bleibt die Luft weg und ich muss blinzeln. Wir reiten direkt in die Sonne und genauso hatte ich mir diesen Winterausritt vorgestellt. Tränen steigen in meine Augen vor Freude darüber, dass Farah diesen Weg gefunden und mich herauf getragen hat und darüber dass sie auf unglaubliche Weise meine Gedanken und Wünsche versteht.

Sie schlägt öfters mal einen Weg vor und es sind immer schöne Pfade, irgendwie besonders und immer in der richtigen Richtung. Und dabei bleiben wir nie im Dickicht stecken. Das passiert nur manchmal dann, wenn ich einen Weg ausprobieren möchte. Farah blinzelt dabei und zieht die Oberlippe hoch, denn sie weiss ja vorher schon ganz genau, dass dieser Weg nirgendwo hinführen wird und wir da wieder irgendwo im Gestrüpp enden.

Doris Semmelmann, 2010