Junge Pferde, roh, frisch von der Koppel oder auch hengstige Wallache und zickige Stuten werden oft als „nicht führbar“ bezeichnet. Gleichzeitig sind sie meist unbalanciert, schwach bemuskelt und schlecht zu reiten. Schnell wird klar, dass weder Gewalt noch Schmerz das widersetzliche Pferd friedlich und kooperativ stimmen und dann kommt meist Horsemanship-Training zum Einsatz. Kann man das Pferd für die Arbeit mit dem Menschen gewinnen, dann waren es weniger die Posen und Gesten, sondern eher eine mentale Verbindung, die entstanden ist. Motivation, Vertrauen und klare Kommunikation bringen die Beziehung ins Gleichgewicht. Dieser Balance im Geist folgt dann die körperliche und man kann mit Muskelaufbau und Gymnastizierung beginnen.
Wie ist es denn nun zum Vergleich im beruflichen Umfeld? Mitarbeiter gelten als „nicht führbar“, wenn sie eigensinnig sind, nicht berechenbar, nicht vertrauenswürdig. Wenn sie Grenzen überschreiten und keine Teamplayer sind, haben es Vorgesetzte schwer und verzweifeln als Führungskraft genauso, wie der Reiter mit dem nicht-führbaren Pferd. Auch hier Fehlanzeige bei Motivation, Vertrauen und Kommunikation. „Menschen, die sich generell nicht führen lassen, machen sich dann oft selbständig oder arbeiten freiberuflich“, sagt Heinz Marty, selbst Pferdemann. Er arbeitet als selbständiger Architekt und wurde in jungen Jahren beim Schweizer Militär als „Nicht führbar“ eingestuft, so der Stempel in seinen Entlassungspapieren.
Eine Weisheit aus dem Horsemanship sagt:
- In front of every horse is a good trainer.
- Behind every horse is a great horseman.
- Beside every horse is a caring partner.
Das Pferd zu führen, indem man vorausgeht, macht einen guten Trainer aus, mit klarer Kommunikation und so genannten Anführer-Qualitäten. Wohingegen aus dem Hintergrund zu agieren bedeutet, nicht nur klare Signale zu senden, sondern auch alle Antennen auf Empfang zu haben und wahrzunehmen, was das Pferd zurücksendet. Das wiederum macht einen guten Horseman aus, der mit feiner Kommunikation Pferde dirigiert. Doch die Position neben einem Pferd, gleichberechtigt in der Mensch-Pferd-Beziehung, das ist Partnerschaft im Pferdealltag. Damit sind keineswegs anspruchsvolle Situationen gemeint oder gar Gefahren – sondern Momente zwischendurch, im Einklang, im Gleichklang, im Gleichschritt. Mitunter braucht man die anderen beiden Stufen, um die dritte zu erreichen.
Barbara Fiedler, Führungskraft im Qualitätsmanagement eines Großunternehmens, erzählt, dass sie von ihren Pferden viel über Führung gelernt hat, vor allem sich selbst klar zu sein und zu kommunizieren, was man von den Mitarbeitern erwartet. „Ich gebe meinen Mitarbeitern Impulse, lasse sie dann machen, und versuche nur einzugreifen, wenn etwas schief läuft“, erzählt sie. Spräche man von Pferden, wäre das bestes Horsemanship. Ein Ziel wird definiert, den Rahmen gibt Fiedler vor und der Rest ist learning by doing. Wenn es scheitert, dann liegt es meist an der Kommunikation, da ist sie sich sicher.
Führungsanspruch abgelehnt?
Bei Pferden, die sich nicht führen lassen, vermutet man auch ein Kommunikationsproblem. Entweder haben sie nicht gelernt, auf die Signale des Menschen zu achten oder aber sie ignorieren den Führungsanspruch. In dem Fall genügt es nicht mehr, richtige Signale zu senden, sondern man muss in der Lage sein, das Feedback zu interpretieren, um daraus Trainingsschritte abzuleiten. „Observe and listen to your horse. Pay attention to the smallest details,” sagt Manuel Jorge de Oliveira. Kein Pferd und kein Mitarbeiter wird von heute auf morgen unführbar. In beiden Fällen gibt es Anzeichen, Signale, Hinweise, die immer stärker werden. Wenn die Gegenseite sie nicht wahrnimmt, folgen Frustration und Resignation. Irgendwann ist dann alles zu spät und die Zusammenarbeit wird eine Qual, für beide Seiten, sowohl bei Pferd und Mensch als auch bei Mitarbeiter und Führungskraft.
Parallelen von Pferden und Mitarbeitern
“The biggest torture of the horse is not to be ridden well,” die größte Tortur für das Pferd ist es, nicht gut geritten zu sein, sagt Manuel Jorge de Oliveira weiter - wobei wir hier von Reitern als Führungskräften sprechen, nicht von Passagieren im Sattel. Und genauso ist es für die Mitarbeiter, schlechte Führung ist eine Tortur. Die einen kündigen oder machen sich selbständig, die anderen leiden still unter Mobbing, Burnout, und Depressionen. Darum ist die Verbesserung der Führungskultur auch ein Bestandteil des betrieblichen Gesundheitsmanagements geworden. „Das Führungsverhalten hat einen signifikanten Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit und gute Führung gilt als gesundheiterhaltender Faktor“, erklärt Daniela Steiner, die bei der Landeshauptstadt München für das Betriebliche Gesundheitsmanagement zuständig ist. „Bei Mitarbeitern, die sich nicht führen lassen, kann man davon ausgehen, dass eine Unzufriedenheit oder eine Art Konflikt dahinterstecken, die es aufzudecken gilt, um passende Maßnahmen abzuleiten und diese umzusetzen sowie zu evaluieren. Dann kann man die Arbeitssituation verbessern und eine nachhaltige Veränderung garantieren. So lässt sich am eigentlichen Problem arbeiten und in der Folge können sich Führungsverhalten und Verhalten des Mitarbeiters gegenüber der Führungskraft verändern, damit eine gute Führung wieder möglich ist.“
Ein guter Horseman geht die Sache genauso an: Bei Pferden, die sich nicht führen lassen, steckt ebenfalls ein Konflikt dahinter, den es aufzudecken gilt um passende Trainingsschritte abzuleiten. Verbessert man die Situation des Pferdes indem man am eigentlichen Problem arbeitet, wird sich auch das Verhalten des Pferdes gegenüber dem Menschen verändern, so dass das Führen wieder klappt. Jedes Mensch-Pferd-Paar ist ein Team, genauso wie Manager und Mitarbeiter, es kann nur gemeinsam funktionieren. Wenn man sich dessen aber nicht bewusst ist und gegeneinander arbeitet, anstatt miteinander, dann wird der Betrieb, der Mitarbeiter oder das Pferd nicht mehr führbar werden.